Thema des Tages

Einzel- und Multizellengewitter

Die sommerliche Gewittersaison steht nun wieder in den Startlöchern.
In den vergangenen Tagen traten bereits einige Gewitter über dem
Süden Deutschlands auf. Welche Arten von Gewittern gibt es
eigentlich, wie entstehen sie und wie lange halten sie durch?

Gewitter unterscheiden sich in ihrer Lebensdauer, in ihrer räumlichen
Ausdehnung, ihrer Entstehung und ihrer Dynamik. Man unterscheidet
zwischen Einzelzellen, Multizellen, Superzellen und mesoskaligen
konvekiven Systemen (MCS), zu denen auch Gewitterlinien (engl. squall
lines) gehören. Die unterschiedlichen Arten von Gewitterzellen
bringen auch ein stark differierendes Gefahren- bzw.
Schadenspotenzial mit sich. Die höchste Gefahr geht dabei von
Superzellen aus. Doch heute soll das Augenmerk zunächst einmal auf
Einzel- und Multizellen gelegt werden.

Einzelzellen:
Sie sind die kleinsten konvektiven Systeme mit einer relativ kurzen
Lebensdauer von 30 bis 60 Minuten und entstehen häufig an Sommertagen
durch bodennahe Aufheizung als sogenannte Wärmegewitter. Dabei muss
die Auslösetemperatur erreicht werden, damit ein Luftpaket
ungehindert aufsteigen kann und es somit zur Quellwolken- bzw.
Gewitterbildung kommt. Die Auslösetemperatur ist die Temperatur, die
man in Bodennähe benötigt, damit ein Luftteilchen aufgrund seiner
geringeren Dichte, verglichen mit der Umgebungsluft aufsteigen kann.
Die vertikale Scherung des Horizontalwindes, die die
Richtungsänderung und die Geschwindigkeitsänderung des Windes in
unterschiedlichen Höhen beschreibt, ist bei Einzelzellen gering.
Zuerst entsteht bei der Zellneubildung ein einzelner Aufwindbereich
(der Updraft), indem bodennahe feuchtwarme Luftmassen aufsteigen. Die
Gewitterwolke durchläuft in ihrem Lebenszyklus dabei drei
Entwicklungsstadien. Das erste Entwicklungsstadium wird
„Cumulusstadium“ genannt. Hier bildet sich ein Cumulus Congestus
(eine Wolkenart), in dem es zu starken Aufwinden kommt, was dazu
führt, dass feuchtwarme Luftmassen in höhere Luftschichten gelangen.
Danach folgt das „Reifestadium“, in dem sich starke Abwinde (der
Downdraft), hervorgerufen durch ausfallenden und verdunstenden
Niederschlag, entwickeln. Durch das rasche Herabfallen von kälterer
Luft aus größeren Höhen kommt es im Bereich des Downdrafts am Boden
zu einem symmetrischen horizontalen Auseinanderströmen und kräftige
Böen sind die Folge. Im letzten Stadium, dem „Dissipationsstadium“,
stirbt die Gewitterwolke quasi ab. Anfangs ist die
Niederschlagsintensität der Zelle zwar am stärksten, aber durch
fehlende Windscherung dreht der Downdraft dem Updraft quasi „den Hahn
zu“. Damit wird der Nachschub an feuchter und warmer Luft
abgeschnitten und die Zelle stirbt. Einzelzellen bringen kurzzeitigen
Starkregen und bei stärkeren Entwicklungen auch stürmische Böen oder
kleinkörnigen Hagel hervor.

Multizellen:
Sie bestehen aus mehreren, miteinander gekoppelten Einzelzellen, die
sich in unterschiedlichen Entwicklungsstadien befinden. Dafür muss
allerdings eine mäßige vertikale Scherung des Horizontalwindes
vorliegen, damit Auf- und Abwindbereich der Zelle räumlich
voneinander getrennt werden. Da der Wind unterschiedlich stark weht,
fließt die Luft im Downdraft nicht wie bei der Einzelzelle
symmetrisch und gleichmäßig nach allen Seiten aus, sondern es
formiert sich an der warmen Seite des Gewitters eine sogenannte
Böenfront. Die hierbei herabfallende schwere und kalte Luft schiebt
sich unter die vorgelagerte Warmluft, hebt diese an und dient damit
als Trigger für eine Zellneubildung. So entwickelt sich ein System,
das durchaus mehrere Stunden Bestand haben kann. In Mutlizellen
können heftiger Starkregen, Sturmböen und mittelgroßer Hagel um 3 cm
auftreten.

Derzeit treten vor allem über der Südhälfte Deutschlands
Einzelzellengewitter auf. Diese verlagern sich allerdings nur sehr
langsam (weniger als 10 km/h), wodurch es vor allem zu Starkregen
kommt. Dabei können in kurzer Zeit um 20 l/qm, vereinzelt auch etwas
mehr fallen. Es trifft aber bei weitem nicht jeden und oftmals bleibt
es sogar trocken. Nachts fallen die Gewitter rasch wieder in sich
zusammen, da die Sonne als treibende Kraft fehlt und damit die
Auslösetemperatur nicht erreicht werden kann.

Dipl.-Met. Marcel Schmid
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 03.05.2022

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