Thema des Tages

Milderung über Umwege

Deutlich mildere Luft als noch am gestrigen Mittwoch ist nach
Deutschland eingeflossen, zumindest in etwas höheren Luftschichten.
Mehr zur Odyssee dieser Luftmasse gibt’s im heutigen Thema des Tages.

Ruhig ist es derzeit in Deutschland, was das Wetter angeht – Hoch
CARLOS sei Dank. Okay, im Nordosten ist’s etwas windig, aber mehr als
ein müdes „Aha?“ dürfte das nur den Wenigsten entlocken. In der
Südwesthälfte herrscht dagegen eher Flaute, wie am gestrigen Mittwoch
in weiten Teilen des Landes. In höheren Luftschichten zeigte sich
gestern dagegen eine zum Teil sehr lebhafte Nordströmung, die heute
auf Nordwest dreht. Damit wurde das Land bis gestern noch mit
subpolarer Meeresluft versorgt, deren Temperatur in rund 1500 bis
1600 m Höhe bei -1 bis -4 Grad lag.

„1500 bis 1600 m Höhe? Wen interessiert das denn bitte?“ werden Sie
sich vielleicht fragen. Tatsächlich ist das ein in der Meteorologie
gern genutzter Höhenbereich. Genauer genommen bedient man sich dem
Druckniveau 850 hPa, das im Mittel etwa in 1500 m Höhe zu finden ist.
Denn dort bleibt die Luft im Allgemeinen unbeeinflusst von bodennahen
Prozessen wie beispielsweise Reibung, nächtlicher Auskühlung oder
Erwärmung tagsüber. Damit lassen sich Aussagen über die „Qualität“
einer Luftmasse treffen, also zum Beispiel über ihre Temperatur und
Feuchte. Bei einer gut durchmischten Luftmasse, wie sie vor allem an
sonnigen Sommertagen – im Winter dagegen eher selten – vorhanden ist,
dient die Temperatur in dieser Höhe zudem als grober Richtwert für
die zu erwartende Höchsttemperatur in 2 m über Grund. Als Faustregel
kann man dann nämlich sagen, dass die Temperatur ausgehend von der
Höhe in 850 hPa bis zum Boden um 1 Kelvin pro 100 m zunimmt
(entspricht 1 Grad Celsius pro 100 m, Temperaturdifferenzen werden
offiziell allerdings in Kelvin angegeben).

Am gestrigen Mittwoch lag die Temperatur der Luft in 850 hPa über
Deutschland, wie gesagt, bei -1 bis -4 Grad. Heute Mittag wird sie
dagegen bereits bei +8 Grad im Norden und um +1 Grad ganz im Süden
liegen. Im Großen und Ganzen bedeutet das eine Erwärmung um 5 bis 10
Kelvin innerhalb von 24 Stunden. Und das bei einer nordwestlichen
Höhenströmung? Kommt da eigentlich nicht die kalte Luft her und die
warme Luft aus Süden oder Südwesten? Tja, eigentlich schon und im
Prinzip ist es auch so.

Zur Erklärung springen wir noch einmal zurück zum Beginn der Woche
(keine Sorge, nur in Gedanken). Denn zu diesem Zeitpunkt lag
einerseits „unser“ Hoch noch über dem mittleren Nordatlantik,
westlich der Azoren und machte sich in der Folge Richtung Westeuropa
auf (siehe Abbildung am Ende des Textes bzw. unter
https://t1p.de/27c0). Andererseits wirbelte ein umfangreiches
Sturmtief zwischen Grönland und Ostkanada. Zwischen diesen beiden
Druckgebilden stellte sich eine kräftige südwestliche Strömung ein,
mit der ein Schwall sehr milder Meeresluft bis in den Nordostatlantik
vorstieß. Von dort wurde sie im Uhrzeigersinn um das Hoch
herumgeführt und gelangte so über die Nordsee – also aus Nordwesten –
bis nach Mitteleuropa. Durch Überströmung des norwegischen Gebirges
kann sich die Luft in 850 hPa über Südschweden föhnbedingt sogar auf
rund +10 Grad erwärmen.

Doch zurück nach Deutschland. Würden die oben erwähnten +7 Grad im
Norden an einem sonnigen Sommertag eine Höchsttemperatur von etwa 23
Grad in 2 m Höhe bedeuten, reicht es dort heute „nur“ für 6 bis 8
Grad (was für Januar aber natürlich recht mild ist). Die Gründe dafür
sind schlicht fehlende Sonnenunterstützung und schlechte
Durchmischung (nähere Infos zum Thema „Durchmischung“, z.B. unter
https://t1p.de/nnw5). Im Süden werden überwiegend immerhin 2 bis 5
Grad erreicht, was wohl besonders südlich der Donau als spürbare
Milderung empfunden werden dürfte, befand man sich doch dort gestern
noch im Dauerfrost.

Auch die nächsten Tage über bleibt es mild – zumindest in 2 m Höhe.
In rund 1500 m wird die Temperatur dagegen ab Sonntag schon wieder
verbreitet in den negativen Bereich fallen – zum Wochenstart im
Nordosten eventuell sogar auf -8 Grad. Aus Norden strömt dann nämlich
Polarluft nach Mitteleuropa – ohne Umwege.

Dipl.-Met. Tobias Reinartz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 13.01.2022

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