Thema des Tages
Von der Radarreflektivität zur Regenrate
Vielleicht haben Sie es auch schon einmal gemerkt: Radarsignal ist
nicht gleich Radarsignal. Auch wenn sich die Radarsignaturen auf
unseren Bildschirmen gleichen, kann unterschiedlich viel Niederschlag
am Boden ankommen. Doch wieso ist das so?
Seit einigen Jahren gibt es Wetter-Apps wie bspw. auch die
WarnWetter-App des Deutschen Wetterdienstes. Mit diesen Apps können
Nutzer selbstständig unter anderem das Regenradar im Blick behalten,
um abzuschätzen, ob sie in nächster Zeit von oben nass werden oder
nicht. Dennoch ist die Interpretation dieser Radarbilder nicht immer
ganz einfach. Häufig gibt es tatsächlich Fehlechos, die bspw. durch
Vogelschwärme, Insekten, Schiffe, Berge oder Windkraftanlagen
entstehen. Auch der sogenannte "Brightband-Effekt" wirkt sich auf das
Radarbild aus (siehe DWD-Lexikon). Des Weiteren kann starker Regen
unter anderem zur Abschattung der Radarkuppel führen, wodurch das
Radarsignal gedämpft wird. Auch Super-Refraktion, wenn der
Radarstrahl aufgrund bestimmter atmosphärischer Bedingungen nach
unten gebogen wird, bedingt Fehlsignale (siehe Link zur
Qualitätssicherung von Wetterradardaten). All diese
Beeinträchtigungen lassen sich mit einem geübten Auge sehr gut
erkennen und teilweise auch durch automatische Verfahren
"herausfiltern".
Was uns Meteorologen weltweit häufig aber große Schwierigkeiten
bereitet, ist die Umrechnung der Radarreflektivität (siehe Thema des
Tages "Der deutsche Radarverbund - Teil 2" vom 19.08.2021) in eine
Niederschlagsintensität, also wie viel Regen in welcher Zeit am Boden
ankommt. Das Radarsignal kann nicht einfach in eine Regenrate
umgerechnet werden, denn es ist - um es einfach auszudrücken - von
der Wetterlage sowie den Wolken- und Niederschlagsarten abhängig.
Besonders deutlich wird dies bei den sogenannten
"Warmer-Regen"-Prozessen im Vergleich zu Landregen, bei dem die dicke
Regenwolke (Nimbostratus) bis in Atmosphärenschichten mit deutlich
negativen Temperaturen (< -10°C) hinaufreicht. "Warmer Regen" oder
auch "tropischer Regen" bildet sich nämlich in tiefen Wolken, in
denen die Temperatur um bzw. über 0 Grad liegt. Bei der
Niederschlagsbildung sind also keine Eispartikel involviert. Das
heißt, dass das Tropfenspektrum eine hohe Konzentration kleiner und
mittelgroßer anstatt großer Tropfen aufweist. Die gängigen
Dopplerradare unterschätzen bei "Warmer-Regen"-Prozessen die
Niederschlagsraten teilweise recht deutlich. Das liegt einfach gesagt
daran, dass eine spezielle Beziehung von Radarreflektivität
(Radarsignal, Z) zur Regenrate (R) Anwendung findet. Diese
Z-R-Beziehung wird mit der Gleichung Z=a·Rb (in Worten: Z ist gleich
a mal R hoch b) ausgedrückt, wobei a und b Konstanten sind, die vom
Tropfenspektrum des gemessenen Niederschlags abhängig sind. Die
Z-R-Beziehung besagt, dass Reflektivität und Regenrate in einem
bestimmten Verhältnis zu einander stehen, dass also bei gleicher
Reflektivität immer dieselbe Regenrate herauskommt. So
unterschiedlich, wie die Wolken und die Luftmassen sind, so
unterschiedlich müssten aber auch die verwendeten Z-R-Beziehungen
sein.
Im Grunde ließen sich in den vergangenen Jahrzehnten viele
verschiedene Z-R-Beziehungen durch Experimente finden. Die im
Radarverbund des Deutschen Wetterdienstes angewandte vereinfachte
Z-R-Beziehung lautet bspw. Z=256·R1,42 (Z ist gleich 256 mal R hoch
1,42). Meist werden Konstanten verwendet, die einen Kompromiss
zwischen stratiformen (Landregen) und konvektiven (Schauer/Gewitter)
Beziehungen darstellen. Neueste Radarprodukte des DWD verwenden
mittlerweile reflektivitätsabhängige Z-R-Beziehungen, die auf der
einen Seite Niederschlagshöhen reduzieren, die durch Konvektion
hervorgerufen werden, und auf der anderen Seite größere Regenraten
berechnen, die in einem stratiformen Regengebiet (Landregen)
auftreten. Dennoch reichen die verwendeten Z-R-Beziehungen nicht aus,
um die realen Regenraten bei jeder Wetterlage einhundertprozentig
genau abzubilden. Sind bspw. tropische Luftmassen im Spiel (sehr
feucht, stratiform UND konvektiv geprägt), wie häufig zwischen
Frühjahr und Herbst aufgrund der an Land ziehenden Hurrikans im Süden
und Südosten der USA, sollte die Niederschlagsintensität eher über
die Z-R-Beziehung nach Rosenfeld berechnet werden. Die dem Thema des
Tages beigefügte Abbildung 1 zeigt die Beziehung des
Reflektivitätsfaktors (Z) zur Regenrate (R) für fünf verschiedene
Luftmassen (durchgezogene Linien) sowie den schattierten Bereich, der
die Z-R-Beziehungen umfasst, die in weiterer wissenschaftlicher
Literatur gefunden wurden. Allein der Unterschied, der sich zwischen
der Z-R-Beziehung von Marshall-Palmer (blau) und der von Rosenfeld
(pink) ergibt, ist erheblich. Bei Reflektivitäten (y-Achse) von 50
dBZ resultieren bspw. mit der Z-R-Beziehung von Marshall-Palmer knapp
50 Liter Niederschlag pro Quadratmeter und Stunde (Regenrate
dargestellt auf x-Achse), wohingegen mit der Z-R-Beziehung von
Rosenfeld das dreifache, also ca. 150 Liter pro Quadratmeter und
Stunde herauskommen, was in tropischen Systemen durchaus realistisch
ist.
Nun ziehen selten Hurrikans über Deutschland hinweg, könnte manch
einer sagen. Und doch lässt sich anhand des hierzulande ebenso
auftretenden "warmen Regens" die Diskrepanz gut verdeutlichen. Das
Problem bei den "Warmer-Regen"-Prozessen ist, dass sich die Wolken
mit "warmem Regen" üblicherweise in den untersten 1 bis 6 Kilometern
der Troposphäre bei positiven Temperaturen bilden. Natürlich befinden
sich oberhalb dieser Wolken weitere Partikel, die dann bei mit der
Höhe abnehmenden Temperaturen mehr und mehr den gefrorenen oder
unterkühlten Zustand annehmen (flüssige Wassertröpfchen können in der
Atmosphäre bis ungefähr -38 Grad auftreten). Allerdings sind
"Warmer-Regen"-Prozesse sehr effektiv. Heißt also, dass in der eher
schmalen Wolkenschicht sehr viele kleine und mittelgroße
Wassertropfen einen hohen Flüssigwasseranteil ergeben. Schaut ein
Radarstrahl nun vom Boden in die Atmosphäre, "sieht" er erstens nur
einen geringen Anteil der Wolke, und durchdringt zweitens die
untersten Kilometer, in denen sich die Wasserwolke befindet, sehr
schnell. Im Vergleich zu einer in der Atmosphäre hochreichenden
Mischphasenwolke wird der Radarstrahl dann über einen längeren
Zeitraum hinweg an Wasser- UND Eispartikeln zurückgestreut, die
durchaus in geringerer Menge vorhanden, aber in der Regel viel größer
sind als die Wassertröpfchen, die beim "Warmer-Regen"-Prozess
involviert sind (siehe Abb. 2). Da die Reflektivität (Z) proportional
zur 6. Potenz des Partikeldurchmessers ist, zeigt sich hier schon das
Problem: Tropfen mit einem großen Durchmesser erhöhen die
Reflektivität um ein Vielfaches im Vergleich zu kleinen Tropfen.
Obwohl die Reflektivität in beiden Situationen gleich sein kann
(bspw. 40 dBZ), wird sich die Regenrate deutlich voneinander
unterscheiden. Einfach gesagt ist dann der Flüssigwasseranteil im
ersten Fall schon in den untersten Kilometern der Atmosphäre deutlich
höher als im zweiten Fall im gesamten vom Radarstrahl erfassten
Volumen. Vergleicht man die Regenrate die aus der im DWD
gebräuchlichen Z-R-Beziehung bei 40 dBZ resultiert mit der
Z-R-Beziehung von Rosenfeld (tropische Luftmasse), so ergibt sich als
Unterschied ein Faktor 2. Anstatt ca. 10 Liter pro Quadratmeter und
Stunde würden bei warmem Regen (tropische Luftmasse) ca. 20 Liter bei
gleichem Radarsignal fallen.
Spürbar wirkt sich dieses Problem auf jeden aus, der das Radarsignal
in seiner Wetter-App selbst interpretiert. So kann man sich ggf. an
einem Tag, an dem eine subtropische Luftmasse wetterbestimmend ist,
beim Regenguss wundern, dass man deutlich nasser wird als am Vortag,
als beispielsweise noch maritime Polarluft vorherrschend war, obwohl
sich die Radarsignale ähneln.
Damit die Radarintensitäten in Zukunft bzgl. der Niederschlagsrate
seltener unterschätzt werden, wird auch beim Deutschen Wetterdienst
weiter nach Lösungen gesucht. Mit den mittlerweile fast im gesamten
Radarverbund betriebenen Dual-Polarisationsradaren verbessert sich
bspw. die quantitative Niederschlagsabschätzung aufgrund der
Möglichkeit, hydrometeorbasierte Z-R-Beziehungen anzuwenden. Dies ist
aktuell aber noch Gegenstand der Forschung.
Dipl.-Met. Julia Fruntke
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 24.09.2021
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst
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