Thema des Tages

Vor 94 Jahren

Am 8. Juli 1927 ereignete sich im Osterzgebirge eine der 
verheerendsten Hochwasserkatastrophen der deutschen Vergangenheit. 
Dabei fielen innerhalb kürzester Zeit über 200 Liter Regen ? wie 
konnte es zu diesen enormen Regensummen kommen?

1927 ist ein wahrlich ereignisreiches Jahr: Schriftsteller Günter 
Grass und der ehemalige Papst Benedikt XVI erblicken das Licht der 
Welt, Charles Lindbergh wird in Paris von Menschenmassen bejubelt, 
nachdem ihm der erste Nonstop-Transatlantikflug im Alleingang 
geglückt ist, die Urknall-These wird vorgestellt, der deutsche 
Reichstag beschließt die Einführung des Arbeitslosengeldes und last 
but not least wird der "Revisionsverband der 
Westkauf-Genossenschaften" gegründet, den kulinarischen Freunden wohl
besser bekannt als REWE. 

Morgen vor 94 Jahren, also am 8.7.1927 ereignete sich hingegen ein 
überhaupt nicht feierwürdiges Geschehnis im Osterzgebirge: Der 
Freitag startet ruhig, neben ein paar harmlosen Wölkchen scheint die 
Sonne. Doch schon bald werden die Wolken mächtiger und gegen Mittag 
grummelt es am Himmel. Von da an nimmt die Tragödie ihren Lauf: 
Heftige Gewitter mit extrem starken Niederschlägen ziehen aus Böhmen 
über den Erzgebirgskamm und verursachen innerhalb kürzester Zeit ein 
rasantes Ansteigen der Flusspegel. Die Gottleuba (Nebenfluss der 
Elbe) verbreitert sich von ihren sonst üblichen drei Metern auf etwa 
100 Meter. Auch die Müglitz, normalerweise ebenfalls ein ruhiges 
Flüsschen, wird zum reißenden Strom (mit einem Abfluss von 330 m³/s 
statt den üblichen 40 m³/s). Wolkenbrüche sorgen in weniger als einer
halben Stunde für 113 Liter Regen pro Quadratmeter, innerhalb weniger
Stunden fallen 226 Liter. Weitere Daten sind nicht bekannt, da 
mehrere Messstationen den Regenmassen zum Opfer fielen. Wer die 
Hoffnung hatte, dass sich die Unwetter nachts auflösen würden, hatte 
weit gefehlt: Sie setzten sich regelrecht am Erzgebirge fest und 
hielten bis zum nächsten Tag an.

Die traurige Bilanz: Etwa 160 Tote, Sachschäden von über 100 Mio. 
Reichsmark (ca. 330 Mio. Euro) und weitere nicht-monetäre Schäden, 
die sich kaum in Zahlen ausdrücken lassen? Da stellt sich zurecht die
Frage: Wie konnte es dazu kommen und warum ist häufig Sachsen vom 
Hochwasser betroffen?

Derartige Hochwasser wie am 8.7.1927 oder beim Jahrhunderthochwasser 
2002 sind auf eine sogenannte Vb (sprich: "fünf b")-Wetterlage 
zurückzuführen. Dabei bildet sich im Golf von Genua ein 
Tiefdruckgebiet, wenn kalte Luftmassen über Westeuropa in den warmen 
Mittelmeerraum vordringen. Das sich intensivierende Tief wird dann 
mit der Höhenströmung über Oberitalien hinweg in einem Bogen um die 
Alpenostseite herum weiter nach Norden in Richtung Tschechien und 
Polen geführt.

Auf der Vorderseite des Vb-Tiefs wird warme und feuchte 
Mittelmeerluft angesaugt und um das Tief herumgeführt. Diese 
Mittelmeerluft gleitet dann auf die kältere Luft auf der 
Tiefrückseite auf. An der Grenze dieser beiden Luftmassen kommt es 
oft zur Bildung stärkerer Niederschläge. Da Sachsen bei dieser 
Wetterlage meist an die Westflanke des Tiefs gerät, werden die 
Luftmassen von Norden gegen das Erzgebirge gedrückt. Dieser 
"Staueffekt" und eine abnehmende Zuggeschwindigkeit des Tiefs führen 
dann dort oft zu langanhaltenden, kräftigen Regenfällen.

Es scheint wie ein seltsamer Zufall, dass sich auch am morgigen 8. 
Juli ein kleinräumiges Tief bilden soll, zwar über Österreich und 
damit nicht in klassischer Vb-Manier, aber ebenfalls über Tschechien 
Richtung Polen ziehend. Allerdings deutet die Mehrheit der 
Wettermodelle die stärksten Niederschläge in diesen beiden 
Nachbarländern an, sodass der diesjährige 8. Juli glücklicherweise 
(hoffentlich) nicht in die deutschen Wetter-Annalen eingehen wird.

Dipl.-Met. Magdalena Bertelmann
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale 
Offenbach, den 07.07.2021

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