Thema des Tages

Doch mehr Ordnung im Wetter-Chaos?

Nach dem berühmten "Schmetterlingseffekt", beschrieben durch Prof. 
Lorenz (1963), befasst sich eine aktuelle Studie neben chaotischen 
Verläufen auch mit strukturierten Wetterabläufen für längerfristige 
Prognosen, in Abhängigkeit von den Ausgangsbedingungen in der 
Atmosphäre.

Die heutige Auffassung "Wetter ist chaotisch" basiert auf der 
bahnbrechenden Modellierungsstudie von Prof. Lorenz (Lorenz 1963a), 
der die empfindliche Abhängigkeit der jeweiligen Lösungen von den 
Anfangsbedingungen, auch bekannt als Schmetterlingseffekt, 
vorstellte. Bei diesem Effekt wird davon ausgegangen, dass kleinste 
horizontale und vertikale Änderungen meteorologischer Größen wie z.B.
Temperatur, Luftdruck, Feuchte, Windgeschwindigkeit u.a. an einem 
beliebigen Ort in der Folge mitunter zu weitreichenden Änderungen der
Strömungsverhältnisse (und damit des Wetterablaufs) in der Atmosphäre
anderswo führen könnten. Gerade für längerfristige Wettervorhersagen 
schaukeln sich solche kleinen Fehler auf und machen eine genaue 
Vorhersage geradezu unmöglich, da die Berechnungen der Wettercomputer
dann auch chaotische Lösungen produzieren.     

Diese konventionelle Sichtweise hat seit Jahrzehnten einen großen 
Einfluss auf die Meteorologie, insbesondere auf numerische Wetter- 
und Klimavorhersagen. Neuere Erkenntnisse, die durch Analyse und 
Vergleich der ursprünglichen Lorenz-Modelle und des verallgemeinerten
Lorenz-Modells (GLM) gewonnen wurden, stellen jedoch die Gültigkeit 
der Aussage "Wetter ist chaotisch" bei der Darstellung der wahren 
Natur des Wetters in Frage. In einer neuen Studie von 2021 (für den 
interessierten Leser auf Englisch zu finden unter:  https://journals.ametsoc.org/view/journals/bams/102/1/BAMS-D-19-0165.
1.xml) werden neue Einsichten und Möglichkeiten unter Verwendung des 
GLM gewonnen, um eine überarbeitete Sichtweise zu formalisieren, die 
sich auf die duale Natur von Chaos und Ordnung im Wetter 
konzentriert. Letzteres ist im Übrigen eine "intuitive Idee", die 
viele Meteorologen sicherlich unbewusst haben, um diverse Ansätze zur
Verbesserung unseres Verständnisses der Vorhersagbarkeit und der 
Wettervorhersage im Allgemeinen, insbesondere auf großskaligen 
subsaisonalen bis saisonalen Zeitskalen zu präsentieren. 

Im Folgenden sollen die wichtigsten Schlussfolgerungen aus der Studie
zusammengefasst werden. 

Bei dem klassischen Lorenz-Modell werden ausschließlich chaotische 
Lösungen verwendet, um die Natur des Wetters zu definieren. Das 
beinhaltet u.a. die Annahme, dass die Parameter des Aufheizens (eine 
zunehmende Temperatur erhöht grob gesagt die Unordnung oder Entropie 
des physikalischen Systems) immer positive Werte annehmen müssen. 
Eine Konsequenz ist, dass eine anfänglich winzige Störung dann immer 
zu einer signifikanten Änderung in der zeitlichen Entwicklung der 
prognostischen Lösungen führt. Allerdings ist weder die Annahme noch 
die Konsequenz anhand von Beobachtungen bisher verifiziert worden. 

Wie bereits in einigen Studien dokumentiert, haben anfängliche kleine
Fehler keinen langfristigen Einfluss auf nicht-chaotische Lösungen 
wie z. B. stationäre Wetterlagen oder wiederkehrende prognostische 
Lösungen, was auch mit unseren täglichen Erfahrungen übereinstimmt.

Zwei wichtige physikalische Prozesse bestimmen das alternative 
und/oder gleichzeitige Auftreten verschiedener Lösungstypen 
(deterministisch und/oder chaotisch) und deren unterschiedliche 
Vorhersagbarkeit:

-die akkumulierte negative Rückkopplung von kleinskaligen Prozessen, 
was das Potenzial einer verbesserten Genauigkeit (durch eine Erhöhung
der vertikalen Auflösung oder verbesserte physikalische Prozesse) auf
den Plan ruft;
-Modulation durch eine langsam variierende Funktion des Aufheizens 
(Temperaturerhöhung), die entweder zeitliche oder räumliche 
Variationen des "Forcings" bzw. der großräumigen Antriebskraft (z. B.
Strahlung) darstellen kann, was zu unterschiedlicher Vorhersagbarkeit
über verschiedene Zeiträume oder Regionen führt.

Aus der numerischen Modellierungsperspektive kann dieses langsam 
variierende Forcing analog zu so genannten internen Forcings wie z.B.
großräumigen synoptischen Wellen sein, die mitunter den Determinismus
(mathematische Vorhersagbarkeit) tropischer Wirbelsturmaktivitäten 
liefern, oder zu externen Forcings wie langsamen Prozessen, die 
hauptsächlich von Ozean- oder Landmodellkomponenten (z.B. 
unterschiedliche Aufheizung) stammen.

Chaotische Prozesse zeigen eine starke Empfindlichkeit gegenüber 
Anfangsbedingungen und besitzen eine endliche (eindeutige) 
Vorhersagbarkeit. Allerdings kann die endliche (praktische) 
Vorhersagbarkeit innerhalb eines realen Modells als Ergebnis 
verschiedener Mechanismen auftreten, einschließlich meteorologischer 
Instabilität von diversen Prozessen und/oder rechnerischem Chaos. Für
nicht-chaotische, stationäre oder nicht-lineare oszillatorische 
(periodisch wiederkehrende) Lösungen ist deren Vorhersagbarkeit 
deterministisch und daher kann ihre praktische Vorhersagbarkeit durch
Verbesserung der Genauigkeit des Modells und der Anfangsbedingungen 
kontinuierlich erhöht werden.

Eine Grenze der (praktischen) Vorhersagbarkeit von 2 Wochen, die seit
Jahrzehnten vorgeschlagen wird, wurde kürzlich für Wettersysteme in 
den mittleren Breiten vorgeschlagen (Zhang et al. 2019). Unter 
bestimmten Voraussetzungen kann die Vorhersage regional und zeitlich 
bis in den sub-saisonalen oder saisonalen Bereich ausgedehnt werden.

Andererseits kommt man bei energetischer Betrachtung der 
atmosphärischen Prozesse zu dem Schluss, dass die gesamte kinetische 
Energie (Bewegungsenergie, teils durch die Erddrehung, teils durch 
umgewandelte potenzielle Energie (durch Strahlung als wichtigstes 
Forcing)) innerhalb der Atmosphäre in etwa binnen einer Woche durch 
Reibung abgebaut wird. Danach werden die Anfangsbedingungen quasi auf
null gestellt und der Zyklus der Energieumwandlung beginnt von Neuem.


Abschließend lässt sich festhalten, dass die Gesamtheit des Wetters 
sowohl Chaos als auch Ordnung besitzt. Diese Einschätzung 
unterscheidet sich grundlegend von der Laplacschen Sichtweise der 
deterministischen Vorhersagbarkeit und der Lorenzschen Sichtweise des
deterministischen Chaos. 

Solch eine differenzierte Sichtweise deutet sowohl auf Potenziale als
auch auf Herausforderungen hin, um unser physikalisches und 
mathematisches Verständnis der Vorhersagbarkeit und Vorhersage für 
Wetter und Klima zu verbessern. 

Dipl.-Met. Dr. Jens Bonewitz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale 
Offenbach, den 01.07.2021

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