Thema des Tages

Die "Lechtalerin" - Ein Gewittermonster im Alpenvorland

Vergangene Woche sorgten im Alpenvorland Superzellen an zwei 
aufeinanderfolgenden Tagen für Aufsehen - die "Lechtalerin" schlug 
wieder zu.

Gewitter gehörten im diesjährigen Juni zum Wetter dazu wie das "Amen"
in der Kirche. Fast täglich brachten Unwetter irgendwo in Deutschland
heftigen Starkregen mit Überschwemmungen. Hagel verursachte Schäden 
an Autos und der Vegetation und bescherte manchen Orten eine weiße 
Landschaft wie im Winter. Sturmböen knickten Bäume um und führten zu 
Beeinträchtigungen im Straßenverkehr (siehe auch Tagesthema vom 
Vortag). Dabei waren sämtliche Gewitterformen anzutreffen - von 
nahezu ortsfesten "Wasserbomben" mit sehr kleinräumig enormen 
Regenmengen bis hin zu großen Gewitterkomplexen mit einem nächtlichen
Blitzfeuerwerk, verbreitetem Starkregen und Sturmböen. In der 
vergangenen Woche bildeten sich im Süden zudem mehrere Superzellen, 
die hunderte Kilometer lange Hagelschneisen verursachten. Im heutigen
Tagesthema beschreiben wir die Eigenschaften einer Superzelle am 
Beispiel der sogenannten "Lechtalerin".

Schauen wir uns zunächst an, was eine Superzelle so besonders macht. 
Superzellen sind rotierende und sehr langlebige Gewitterwolken. Ihr 
wichtigstes Merkmal ist die sogenannte "Mesozyklone", ein mächtiger 
rotierender Aufwindbereich (Updraft). Er erzeugt am Boden einen 
Unterdruck, sodass wie bei einem Staubsauger beständig die warme und 
energiegeladene Luft am Boden ansaugt und bis an den Oberrand der 
Troposphäre (über 10 km Höhe) gelangen kann. Ein typisches Radarbild 
einer Superzelle (Lechtalerin vom 21. Juni 2021) sowie eine 
schematische Darstellung sind in Abb. (a + b) gezeigt. Dabei sticht 
vor allem die hakenförmige Spitze am südlichen Rand der Gewitterzelle
ins Auge. Dort wird die Warmluft angesaugt (siehe Pfeil in Abb. (b)) 
und auch die Gefahr von möglichen Tornados ist dort gegeben. Knapp 
südlich anschließend kommt es im Bereich der absinkenden Kaltluft 
(markiert mit blauen Kaltfrontsymbolen) nicht selten zu extremen 
Fallböen bis in den Orkanbereich. Zudem ist in Abb. (b) der Bereich 
mit dem stärksten Regen und Hagel gekennzeichnet. Sollten Sie also im
Radarbild ein Gewitter dieser Form auf sich zuziehen sehen, sollten 
Sie sich schnell in Sicherheit begeben.

Superzellen entwickeln mit der Zeit eine Eigendynamik, die 
verhindert, dass die (als Ausgleich zur aufsteigenden Warmluft) 
absinkende Kaltluft in den Warmluftbereich eindringt. So wird die 
Mesozyklone über mehrere Stunden hinweg mit Warmluft gefüttert. Durch
die Langlebigkeit und die massive Power des rotierenden Updrafts 
können Hagelkörner mehrfach in die Höhe geschleudert werden und zu 
großen Hagelbrocken heranwachsen. Eine detailliertere Beschreibung 
der Merkmale einer Superzelle finden Sie z.B. im Thema des Tages vom 
14.7.2019 (siehe Link).

Von Montag bis Donnerstag waren im Süden Deutschlands die Bedingungen
für diese rotierenden Monster ideal. In der unteren Atmosphäre 
lagerte eine warme und feuchte Luftmasse, sozusagen der Sprit für den
Motor der rotierenden Mesozyklone. Zudem kam der Wind in Bodennähe 
aus östlicher bis nordöstlicher Richtung (was das Ansaugen 
begünstigte), drehte bis in eine Höhe von etwa 5 Kilometern um nahezu
180° auf Südwest und nahm dabei deutlich zu. Kurz gesagt, es war 
ausreichend Richtungs- und Geschwindigkeitsscherung vorhanden. Dies 
ist Grundvoraussetzung für die Entstehung der Rotation im 
Aufwindbereich und trägt dazu bei, dass die absinkende Kaltluft nicht
vor die Gewitterzelle gelangt.

Bei diesen Ausgangsbedingungen war es nicht verwunderlich, dass im 
Alpenvorland die sogenannte "Lechtalerin" ihre Muskeln zeigte. Sie 
hat ihren Namen von ihrer typischen Entstehungsregion im südlichen 
Lechtal. Hat sich die Lechtalerin einmal gebildet, zieht sie meist in
einer leichten Rechtskurve über den Ammersee oder Starnberger See 
südlich an München vorbei (manchmal auch über München hinweg) und 
anschließend weiter ostwärts ins östliche Oberbayern oder südliche 
Niederbayern. Diese Zugbahn ist in Abb. (c + d) zu sehen. Dargestellt
ist die Spur der radarbasierten Messung des "vertically integrated 
ice content" der Gewitterwolken, ein Maß für die Hagelgröße und 
-intensität. Man erkennt gut, dass an zwei aufeinanderfolgenden Tagen
das Gewitter im Allgäu knapp westlich des Lechs entstand, weshalb 
beide Gewitter der typischen Lechtalerin sehr nahekamen. Sie zogen 
beide über den Starnberger See und südlich an München vorbei, wobei 
die Lechtalerin am 21. Juni (Montag) am Abend und jene am 22. Juni 
(Dienstag) bereits am Nachmittag entstand. Letztere war die heftigere
von beiden und zog anschließend weiter bis nach Passau. Beide 
Superzellen hinterließen eine hunderte Kilometer lange Schneise mit 
massiven Ansammlungen von mehreren Zentimeter großen Hagelkörnern. So
war beispielsweise im Radio die kuriose Verkehrsmeldung zu hören, 
dass auf der A95 auf Höhe Wolfratshausen "schneebedeckte Fahrbahnen 
durch Hagel und ein Baum auf der Fahrbahn" für erhebliche 
Verkehrsbehinderungen sorgten. Manche Orte wurden gleich an zwei 
aufeinanderfolgenden Tagen vom Hagel betroffen.

Zum Abschluss noch ein kurzer Blick auf die nächsten Tage: Nach einer
kurzen Gewitterverschnaufpause am gestrigen Samstag und heute mit nur
vereinzelten Gewittern, steigt am morgigen Montag im Westen und 
Südwesten sowie in den Mittelgebirgen im Tagesverlauf das Potential 
für kräftige Gewitter wieder an. Ab dem Abend und in der Nacht zum 
Dienstag steht uns wahrscheinlich sogar wieder eine 
Schwergewitterlage ins Haus. Von Baden-Württemberg und 
Rheinland-Pfalz bis nach Hessen und Franken beschert uns ein 
mächtiger Gewitterkomplex unwetterartigen Starkregen und schwere 
Sturmböen, anfangs kann es auch größeren Hagel geben.


Dr. rer. nat. Markus Übel (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale 
Offenbach, den 27.06.2021

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