Thema des Tages

Das weißeste Weiß


Wissenschaftler haben die bisher weißeste Wandfarbe entwickelt: Sie 
reflektiert nicht nur 98% des Sonnenlichts, sondern bleibt selbst in 
der Mittagshitze noch 4,5 °C unter der Umgebungstemperatur.


Tagelange, brütende Hitze blieb uns in diesem Jahr bisher (noch) 
erspart, aber sicherlich erinnern sich noch viele an die heißen 
Sommertage der letzten Jahre. Die morgendliche Wahl am Kleiderschrank
fällt bei solch sonnig-heißem Wetter dann oft auf das weiße statt auf
das schwarze T-Shirt, schließlich wissen die meisten, dass Weiß 
Sonnenlicht reflektiert und Schwarz es im Gegensatz dazu absorbiert 
(wobei das Temperaturempfinden auch stark vom Material der Kleidung 
beeinflusst wird). Hechelnd mit dem Papierfächer vorm Gesicht wedelnd
wünscht man sich dann manchmal, dass das weiße Shirt die 
Sonnenstrahlung nicht nur reflektieren, sondern auch den Körper 
kühlen möge?

Und genau solch eine weiße Farbe haben Wissenschaftler aus den USA 
nun entwickelt - okay, es handelt sich nicht um eine Farbe zum Färben
von Klamotten, sondern vielmehr zum Anstreichen beispielsweise von 
Häusern, aber der Effekt ist deshalb nicht weniger beeindruckend: Die
Forscher der Purdue University in West Lafayette (Bundesstaat 
Indiana) haben nämlich das ?weißeste Weiß? entwickelt, das alle 
bisherigen Weißtöne (sprichwörtlich) in den Schatten stellt. 
Diese Farbe strahlt so hell, dass sie 98,1 % der einfallenden 
Sonnenstrahlung reflektieren kann und sogar eine kühlende Wirkung 
hat: Messungen im Freien haben gezeigt, dass sich mit der neuen Farbe
angestrichenen Oberflächen in der Mittagssonne um bis zu 4,5 Grad 
gegenüber der Umgebung abkühlten. In der Nacht waren es sogar bis zu 
10,5 Grad.  

Da fragt man sich zurecht: Wie kann das funktionieren? 
Ausschlaggebend sind die verwendeten Partikel. Die Farbe besteht im 
Wesentlichen aus Bariumsulfat-Partikeln von unterschiedlicher Form 
und Größe. Durch die hohe Konzentration von Bariumsulfat und 
unterschiedliche Partikelgrößen zwischen 270 und 530 Nanometern hat 
die Farbe eine sehr breite Spektralstreuung, wodurch ein größerer 
Bereich des Lichtspektrums reflektiert werden kann als bisher.

Hinzu kommt, dass die Farbe eine sehr hohe Emissivität 
(Strahlungsvermögen) im sogenannten ?atmosphärischen Fenster? hat. In
diesem speziellen Wellenlängenbereich ist die Atmosphäre weitgehend 
durchlässig und abgegebene Wärmestrahlung kann fast ungehindert ins 
Weltall entweichen. Insgesamt "verliert" die Farbe mehr an Wärme als 
sie absorbiert, sodass eine beschichtete Oberfläche unter die 
Umgebungstemperatur abkühlt.

Der Vorteil einer solchen weißen Farbe mit kühlender Wirkung liegt 
auf der Hand: Sie könnte (auf Fassaden angebracht) die städtischen 
Wärmeinseln mildern und die Nutzung von elektrisch betriebenen 
Klimaanlagen reduzieren. Würde man zum Beispiel ein 92 Quadratmeter 
großes Dach mit dem Anstrich versehen, erzielte man eine Kühlleistung
von zehn Kilowatt, so die Forscher. Damit könne die Farbe mit einer 
handelsüblichen Klimaanlage mithalten.

Die neue weiße Farbe ist das Ergebnis von sechs Jahren Forschung. 
Dabei hat sich unter anderem gezeigt: Eine höhere Konzentration der 
Bariumsulfat-Partikel liefert nicht unbegrenzt immer bessere 
Ergebnisse: Denn je höher die Partikelkonzentration, desto eher 
bricht die Farbe oder blättert ab. Deshalb war es unter anderem eine 
Herausforderung, das richtige Maß zu finden.

Übrigens: Auch die Deutsche Bahn testet seit 2019 weiße (wenn auch 
nicht diese neu entwickelte) Farbe. Weil extreme Hitze den 
Schienenstahl belastet, soll ein weißer Farbanstrich die Schienen bei
hohen Temperaturen kühler halten (nach Laboruntersuchungen um 7 bis 8
Grad). Im Praxistest wurde auf der Pfieffetalbrücke bei Melsungen in 
Nordhessen auf der Schnellfahrstrecke Hannover-Würzburg also ein 
Gleisabschnitt von einem Kilometer weiß gestrichen, dessen Temperatur
mit einem daneben befindlichen ungestrichenen Gleis verglichen wird. 
Zeigt sich auch im realen Bahnbetrieb ein positiver Effekt der weißen
Farbe, sollen weiße Schienen auch an anderen Stellen eingesetzt 
werden.

Weiße T-Shirts, weiße Häuser, weiße Bahnschienen: Diese Maßnahmen 
können vielleicht ein bisschen dabei helfen, gut durch die zunehmend 
heißen Sommer zu kommen, aber ganz bestimmt sind sie nicht der 
Weis(ß)heit letzter Schluss?


Dipl.-Met. Magdalena Bertelmann
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale 
Offenbach, den 14.05.2021

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