Thema des Tages
Von der Stromlinie zur Trajektorie
Heute beschäftigt sich das Thema des Tages mit dem Unterschied
zwischen Stromlinien und Trajektorien.
Die Begriffe "Stromlinie" und "Trajektorie" werden umgangssprachlich
oft in ähnlicher Weise, wenn nicht sogar als Synonym verwendet. Dabei
gibt es, wenig überraschend, einige wesentliche Unterschiede zwischen
diesen beiden physikalischen Größen.
Im täglichen Leben ist dabei wohl häufiger von Stromlinien als von
Trajektorien die Rede. Stromlinien beschreiben die Bewegungsrichtung
eines Teilchens in einer Flüssigkeit oder einem Gas. Nimmt man an,
dass die Teilchen in der Flüssigkeit oder dem Gas eine sehr geringe
(theoretisch sogar gar keine) Masse haben, so beschreiben die
Stromlinien sogar exakt die Verlagerung der Teilchen in der Strömung.
Technisch werden Stromlinien (von Gasen) gerne im Windkanal mit Hilfe
von Rauch sichtbar gemacht. Stromlinienförmige Fahrzeuge sollen dem
Fahrtwind möglichst wenig Angriffsfläche bieten. Bei Flugzeugen ist
eine stromlinienförmige Struktur sowieso essentiell, ein sogenannter
"Strömungsabriss", also der Verlust des Auftriebs, stellt für die
Luftfahrt ein immenses Sicherheitsrisiko dar. In der beigefügten
Grafik (https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2021/4/30.html,
kleines Bild oben links) sind die Stromlinien zu sehen, die sich bei
der Umströmung eines Autos einstellen. Was sofort auffällt: Die
Stromlinien haben keine Knicke und sie schneiden sich nicht. Beides
ist aus physikalischer Sicht auch nicht möglich. Es gilt aber auch:
Die dargestellten Stromlinien bilden sich nur bei einer ganz
bestimmten Einstellung des Windkanals aus. Würde man in unserem
Beispiel die Strömungsgeschwindigkeit erhöhen oder das Fahrzeug im
Windkanal drehen - würde man also die Rahmenbedingungen ändern - so
ergäben sich andere Stromlinien.
Im Gegensatz dazu beschreibt eine Trajektorie die tatsächliche Bahn
eines Teilchens in einer Flüssigkeit oder einem Gas, wobei auch
veränderliche äußere Bedingungen (z.B. der Strömungsrichtung und
-stärke) in die Betrachtung einbezogen werden. Ferner kann hierbei
auch - falls bedeutsam - die Masse des Teilchens einen Einfluss
ausüben.
Damit präsentieren sich Trajektorien deutlich unruhiger als
Stromlinien - zuweilen nehmen sie sogar bizarre Formen an. Im
größeren Bildteil der beigefügten Grafik sind die 1-wöchigen
Rückwärtstrajektorien der Stationen Bremen und Görlitz abgebildet
(Zielzeitpunkt: Fr., 30.4.2021, 00 UTC). Die Bremer Trajektorie zeigt
am vergangenen Freitag über dem Nordmeer zuerst eine Verlagerung der
Teilchen nach Osten. Diese haben dann aber den Rückweg nach Westen
angetreten, um anschließend nach Süden abzubiegen und über
Skandinavien hinweg nach Polen zu "wandern". Über Zentralpolen folgte
dann in der Nacht zum letzten Mittwoch der nächste "Rückzieher".
Statt weiter nach Süden ging es zurück zur Ostsee und über
Südschweden und Dänemark nach Bremen. Ähnlich "launisch" präsentiert
sich die "Reisegruppe" mit Ziel Görlitz. Von Schottland erst zum
Bodensee, dann nach Westfrankreich, dort eine kleine Schleife gedreht
und ab nach Görlitz.
Zwei Anmerkungen erscheinen noch notwendig. Zum einen sind hier nur
die Trajektorien der Luftpakete angegeben, die in den beiden Städten
in einer Höhe von etwa 500 Meter ankommen. In anderen Höhenstufen
können die Trajektorien durchaus (gänzlich) andere Muster annehmen.
Zum anderen sind die vermeintlichen Schnittpunkte der Trajektorien
(bei der Bremen-Trajektorie über dem Nordmeer und über Südschweden,
bei der Görlitz-Trajektorie über der Westpfalz und Frankreich) bei
genauer Betrachtung keine Schnittstellen. Warum? Weil die Luftpakete
die "Kreuzungspunkte" jeweils in verschiedenen Höhen überquert haben.
Das heißt aber nicht, dass sich Trajektorien bei passenden
Randbedingungen nicht tatsächlich schneiden können.
Dipl.-Met. Martin Jonas
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 30.04.2021
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst
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