Thema des Tages

Finale Stratosphärenerwärmung naht

Der stratosphärische Polarwirbel hat ja in diesem Winter bereits 
mehrmals geschwächelt, nun steht wie in jedem Frühjahr sein finaler 
Zusammenbruch bevor. Was das eventuell für Folgen haben könnte, soll 
kurz erläutert werden. 

Der stratosphärische Polarwirbel (in der mittleren und oberen 
Stratosphäre, in Höhen von etwa 23 bis 31 km bzw. 50 bis 10 hPa am 
stärksten ausgeprägt) stand ja in diesem Winter mehrmals im 
meteorologischen, aber auch medialen Fokus. So haben sowohl die 
plötzliche Stratosphärenerwärmung (so genanntes Major warming (SSW), 
vollständige Windumkehr der zonalen (West-)Winde auf Ostwinde in 10 
hPa, zonal gemittelt auf 60 Grad Nord) am 05.Januar 2021 sowie zwei 
weitere Ereignisse mit nahezu vollständiger Windumkehr Mitte Januar 
und Anfang Februar zu einer nachhaltigen Schwächung des 
stratosphärischen Polarwirbels geführt. Die Folge war ebenso eine 
zeitversetzte dynamische Kopplung mit der troposphärischen 
Zirkulation, d.h. ein zunehmend negativer Index der Arktischen 
Oszillation (AO) und der Nordatlantischen Oszillation (NAO, zu den 
Indizes siehe auch 
https://www.dwd.de/DE/service/lexikon/lexikon_node.html). Dies wirkte
sich aus durch vermehrte Kaltluftausbrüche in Nord- und 
Nordosteuropa, vorübergehend auch in Mitteleuropa sowie später in 
Teilen Nordamerikas.

Jedes Frühjahr wechselt der stratosphärische Polarwirbel von seinem 
Winterzustand (mit vorwiegend westlichen Winden) in seinen 
Sommermodus mit östlichen Winden, aufgrund saisonaler Veränderungen 
der eintreffenden Sonnenstrahlung (Ende der Polarnacht), ein 
Ereignis, das als "finale stratosphärische Erwärmung" (FSW) oder auch
Zusammenbruch des stratosphärischen Polarwirbels bekannt ist. Diese 
FSW tritt im Mittel um den 12.April ein, Ereignisse davor werden als 
frühes, danach als spätes FSW bezeichnet. Die zeitversetzten 
Auswirkungen auf die troposphärische Zirkulation sind ähnlich wie bei
winterlichen Stratosphärenerwärmungen, d.h. AO und auch NAO-Index 
tendieren zu negativen Werten. Für die Großwetterlage im 
atlantisch-europäischen Raum führt das zur Ausbildung von mehr oder 
weniger persistent hohem Luftdruck über Grönland, der Arktis, teils 
auch vom Nordmeer bis nach Skandinavien (mit meridionalem 
Strömungsmuster und folglich Ausfließen von arktischen Luftmassen 
relativ weit nach Süden). Diese Konstellation führt in Mitteleuropa 
mitunter zu späten Kaltlufteinbrüchen mit Nachtfrösten, oft verbunden
mit länger anhaltendem Hochdruckwetter. 

Zusätzlich findet man in der Fachliteratur unterschiedliche 
Auswirkungen bezüglich frühem oder spätem FSW. Demnach führt ein 
früher FSW zu einem abrupten Nachlassen bzw. auch zu einer Umkehr der
West- auf Ostwinde in der mittleren und oberen Stratosphäre. Damit 
wird eine stärkere Kopplung mit der Troposphäre postuliert, die sich 
zeitverzögert durch eine höhere Wahrscheinlichkeit längerer Phasen 
mit negativem AO-/ und NAO-Index auswirken kann. Die genauen 
Zusammenhänge sind aktuell noch Gegenstand von wissenschaftlichen 
Studien. In 2021 zeigen die längerfristigen Prognosen des 
EZMW-Modells in Reading für den zonalen Wind auf 10 hPa und zonal 
gemittelt auf 60 Grad Nord bis Anfang April im Mittel eher 
überdurchschnittliche Westwinde, einzelne Ensemble-Member gehen 
allerdings teils schon auf Windumkehr zu Ostwinden.  

Ein weiterer Faktor zur Persistenz der durch die FSW hervorgerufenen,
eher meridionalen Strömungsmuster ist die relativ starke Erwärmung 
der nördlichen Breiten (vor allem der Arktis) in den letzten 
Jahrzehnten. Damit schwächt sich der Temperaturunterschied zwischen 
niederen und hohen Breiten insgesamt ab und führt in der Folge auch 
zu einer saisonal unterschiedlich ausgeprägten Schwächung des 
Jet-Streams (siehe auch 
https://www.dwd.de/DE/service/lexikon/lexikon_node.html), der 
wiederum die im Mittel zonale (westliche) Strömung über den mittleren
Breiten aufrechthält. Dieser Umstand erschwert mitunter die 
(östliche) Verlagerung von Hoch- und Tiefdruckgebieten. Damit können 
gerade blockierende Wetterlagen (durch stationäre Hochdruckgebiete 
z.B. über Skandinavien) auch mal deutlich länger als normal anhalten.


Einen weiteren globalen Player stellt der ENSO-Zyklus dar, der 
einerseits in saisonalem Aspekt, andererseits mit der Tendenz zur 
(leichten) Verstärkung von blockierenden Wetterlagen (La Ninja-Phase)
oder aber mehr zonalen (West-) Wetterlagen (EL Nino-Phase) in den 
mittleren Breiten in der Fachliteratur erwähnt wird. 

In diesem Zusammenhang fällt die seit 2009 in Deutschland 
registrierte negative Abweichung (oder Anomalie) des mittleren 
Niederschlags im April auf, die teils erheblich ist (siehe Grafik 
anbei). Auch hier lohnen sich weitere Studien zu einer eventuellen 
Korrelation mit FSW-Ereignissen, aber auch überlagert mit anderen 
Faktoren (siehe oben).

In Bezug auf die negative Anomalie des Niederschlags, gerade im April
kann es sich allerdings auch um eine so genannte Dekaden-Variabilität
handeln (siehe negative Abweichung des Niederschlags im Jahrzehnt 
seit Beginn der Messungen bis nach 1890). 

Zusammengefasst sind sicher komplexe Faktoren bzw. die Wechselwirkung
letzterer für derartige Abweichungen verantwortlich. Nichtsdestotrotz
erscheinen das weitere aufmerksame Verfolgen und auch die 
Ursachenforschung in diesem Bereich obligatorisch. Immerhin hat ein 
zu trockener April unmittelbare Auswirkungen in Bereichen wie z.B. 
Land-, Forst- oder auch Wasserwirtschaft. 

Dipl.-Met. Dr. Jens Bonewitz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale 
Offenbach, den 26.02.2021

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