Thema des Tages

Vom Winterempfinden und Stundenschnee


Im heutigen Tagesthema geht um eine verschobene Wahrnehmung, wie man 
mittlerweile einen Winter wie den diesjährigen im Vergleich zu früher
einordnet.


In den vergangenen Tagen und Wochen hat es in vielen Teilen 
Deutschlands zumindest vorübergehend für eine Schneedecke gereicht. 
Im höheren Bergland liegt zum Teil mehr als ein halber Meter Schnee 
(z.B. im Erzgebirge, Thüringer Wald oder Schwarzwald). Der ein oder 
andere mag finden, dass wir in diesem Jahr endlich mal wieder richtig
Winter haben, manchen ist es gar schon zu viel.

Tatsächlich zeigt sich, dass sich durch den Klimawandel der 
Blickwinkel vieler Menschen bereits deutlich verschoben hat. Vor 30 
Jahren hätte man den Winter 2020/21 sicherlich nicht als sonderlich 
winterlich empfunden. Aber schauen wir doch nochmal genauer drauf.

Bis vergangenes Jahr wurden die Monats- und Jahreszeitenrückblicke, 
wie von der WMO empfohlen, immer mit dem vieljährigen Mittelwert von 
1961 bis 1990 verglichen. Mit Ende des Jahres 2020 sind jetzt wieder 
30 Jahre vergangen. Damit lassen sich aktuelle Monate mit dem neuen 
vieljährigen Mittelwert von 1991 bis 2020 vergleichen. 
Vergleicht man die alte und neue 30jährige Jahresmitteltemperatur für
Deutschland, kann man gut die Erwärmung der letzten Jahrzehnte 
erkennen. So liegt das Deutschlandjahresmittel von 1991 bis 2020 1.1 
K über dem von 1961 bis 1990. Für den Monat Januar liegt die 
Abweichung sogar bei 1.4 K. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass ein 
Januarmonat der damals durchschnittlich temperiert war, im Jahr 2021 
als 1.4 K zu kalt in die Statistik eingehen würde. Mit Blick auf den 
gesamten Winter, ist der Mittelwert im Deutschlandschnitt in den 
vergangenen 30 Jahren um 1.2 K angestiegen.

Blicken wir nun nochmal auf die diesjährige Wintersaison. In den 
vergangenen Jahren war es oft ziemlich mild.  Gerade der Winter 
2019/20 war ganze 4.2 K wärmer als nach dem Mittelwert 1961 bis 1990.
Auch nach dem neuen vieljährigen Mittel sind es noch 3 K. Dazu gab es
in vielen Regionen im Tiefland gar keinen Tag mit einer Schneedecke. 
Insofern wirkt die diesjährige Saison 2020/21 bei weitem 
winterlicher. Fast überall im Tiefland gab es bereits eine 
Schneedecke und - so man denn darf - hat man jederzeit die 
Möglichkeit im Bergland einen ordentlichen Schneespaziergang zu 
machen.

Nun kommt natürlich das "Aber". Stundenschnee alleine macht noch 
keinen Winter. Schauen wir also mal auf die Temperatur. Der erste 
meteorologische Wintermonat Dezember war deutlich zu mild mit im 
Schnitt +2.3 K über den vieljährigen Mittelwerten 1961 bis 1990 (1991
bis 2020: + 1.3 K). 
Im grauen Januar hat es bisher nur selten für deftige Nachtfröste 
gereicht. In vielen Metropolen hat es noch nicht einmal einen Eistag 
gegeben (Tageshöchstwerte unter 0 Grad). Das gilt vor allem für die 
west- und norddeutschen Großstädte. Folglich kommt der Januar mit 
einer bisherigen deutschlandweiten Durchschnittstemperatur von +0,7 
Grad auch nicht sonderlich kalt daher. Zieht man das neue vieljährige
Mittel heran, ist der Monat bis zum heutigen Tag mit -0.2 K derzeit 
leicht unterdurchschnittlich. Vor 30 Jahren wäre der diesjährige 
Januarmonat hingegen mit +1.2 K klar überdurchschnittlich. Gerade der
Januarmonat zeigt die Perspektivenverschiebung damit sehr deutlich. 
Das menschliche Gedächtnis schaut gar keine 30 Jahre zurück, sondern 
hat oft nur die letzten 10 Jahre in Erinnerung (man vergisst halt 
sehr schnell). Das Temperaturmittel der letzten zehn Januarmonate 
liegt nochmal 0.5 K höher als der 30jährige Mittelwert von 1991 bis 
2020 und damit schon fast 2 Grad über dem letzten Mittel von 1961 bis
1990.

Insofern ist es verständlich, dass man diesen Winter (insbesondere 
den Januar) schon als ganz ordentlich empfindet. Vergessen sind bei 
vielen, vor allem jüngeren Menschen, die wirklich richtigen Winter. 
Erwähnt seien zum Beispiel die Winter 1978/79, 1986/87 oder 1995/96. 
Im Deutschlandschnitt waren diese im Vergleich zu 1991 bis 2020, 
jeweils 3.2 K, 2.6 K und 3.5 K kälter. In im Deutschlandvergleich 
milden Frankfurt gab es 1978/79 ganze 28 Eistage und die tiefste 
Temperatur erreichte -17.0 Grad (1986/87: 24 Tage /-17.5 Grad, 
1995/96: 21 Tag / -12.5 Grad).
Im Winter 1978/79 gab es in Frankfurt an 48 Tagen eine Schneedecke 
(1986/87: 30 Tage, 1995/96: 28 Tage).
Schaut man in andere Regionen Deutschlands (z.B. in die neuen 
Bundesländer), so lagen die Temperaturwerte teils noch deutlich 
niedriger und der Schnee höher.

Natürlich waren die beispielhaft aufgeführten Winter auch vor 30 
Jahren schon Ausnahmewinter. Das ändert aber nichts daran, dass sich 
die Perspektive, mit der auf den diesjährigen Winter geschaut wird, 
deutlich verschoben hat. Man kann sich schlicht einen Winter wie 
damals heute gar nicht mehr vorstellen. Statt an zugefrorenen Seen 
erfreut man sich mittlerweile an Stundenschnee und klar, die 17 cm in
Essen sind für Winterfans auch etwas Schönes. Was man allerdings 
unter richtigem Winter versteht, gerät so langsam in Vergessenheit 
... und daran wird sich bekanntlich auch zukünftig nichts ändern.

Dipl.-Met. Marcus Beyer
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale 
Offenbach, den 24.01.2021

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