Thema des Tages

Küstenkonvergenz - Die Küste als Wetterscheide

Auf dem Festland ist das Wetter manchmal ganz anders als über dem 
offenen Meer und den vorgelagerten Inseln. Eine Ursache (unter 
mehreren) ist die Küstenkonvergenz.

Als langjähriger Sylt-Urlauber habe ich schon zu Schulzeiten im 
Sommerurlaub bemerkt, dass das Wetter auf der Insel oft anders ist 
als am gegenüberliegenden Ende des Hindenburgdamms, also auf dem 
Nordfriesischen Festland. Von einer Düne aus beobachtete ich, dass 
sich auf dem Festland dicke Wolken perlenkettenartig 
aneinanderreihten, während über meinem Kopf und in Richtung Meer 
blickend die Sonne schien. Oder es konnte beim Strandspaziergang auf 
Regenkleidung verzichtet werden, obwohl der Wetterbericht einen 
verregneten Tag vorhersagte und mir beim abendlichen Recherchieren 
der Wettermeldungen schnell klar wurde, dass die Meteorologen für das
Festland durchaus Recht behielten.

In meinem Meteorologie-Studium erfuhr ich, dass meine Beobachtungen 
mit den unterschiedlichen Eigenschaften von Meer und Festland zu tun 
haben, die großen Einfluss auf das Wettergeschehen entlang der Küsten
haben können. Das wohl prominenteste Beispiel hierfür ist die 
Land-Seewind-Zirkulation, die im Thema des Tages vom 16. Juni 2020 
erklärt wurde. Ein weiteres wichtiges Phänomen ist die sogenannte 
"Küstenkonvergenz", die die Küstenlinie mitunter zur Wetterscheide 
macht. Doch was hat es damit auf sich?

Hauptverantwortlich für die meisten Küsteneffekte sind die 
unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften von Meerwasser und 
Landoberflächen. Beim Seewind (Landwind) ist die unterschiedliche 
Erwärmung (Abkühlung) zwischen Meerwasser und Landoberfläche der 
Auslöser für die Zirkulation. Für die Küstenkonvergenz ist hingegen 
die unterschiedlich starke Bodenreibung verantwortlich. Über der (vom
Wellengang abgesehen) glatten Meeresoberfläche ist der 
Reibungswiderstand der Luft sehr gering, sodass sie nahezu 
ungehindert über das Wasser hinweg strömen kann. Anders über dem 
Festland: Hindernisse unterschiedlicher Größe - von Bäumen und 
Häusern bis hin zu Steilküsten oder Hügel- und Dünenlandschaften - 
führen zu einem deutlich größeren Reibungswiderstand, wodurch die 
Luftströmung abgebremst wird. Man kann sich das wie auf einem 
eisglatten Gehweg vorstellen, über den man mit den Schuhen leicht 
hinweg gleiten kann, während das Gleiten rasch abgebremst wird, wenn 
man Sand auf den glatten Boden streut, der die Reibung stark erhöht.

Aus diesem Grund ist die Windgeschwindigkeit über der See in der 
Regel deutlich höher als über dem Festland. Nehmen wir nun an, dass 
der Wind vom Meer Richtung Festland (also auflandig) weht. In diesem 
Fall strömt die Luft mit vergleichsweise hoher Geschwindigkeit 
Richtung Küste, wo nun die Luftströmung durch die erhöhte 
Bodenreibung merklich abgebremst wird (Abbildung 1 [linker Teil] und 
Abbildung 2). Dadurch strömen die Luftmassen zusammen, da die 
schnellere Luftmasse über dem Meer quasi auf die sich langsamer 
bewegende Luft über dem Land "auffährt". In der Fachsprache 
bezeichnet man dies als "Konvergenz" (genauer: 
Geschwindigkeitskonvergenz). Bei einer konvergenten Strömung staut 
sich also die Luft, wodurch ihre Dichte zunimmt. Dabei passiert mit 
der Luft das gleiche wie im Verkehrsstau. Fährt man vom fließenden 
Autobahnverkehr in einen zähfließenden Verkehr, verringert sich zum 
einen die Fahrtgeschwindigkeit, zum anderen erhöht sich die 
Verkehrsdichte, da die schnelleren Autos von hinten an die langsamer 
fahrenden Autos aufrücken. Zusätzlich kann auch eine 
Richtungsänderung des Winds ein Zusammenströmen von Luftmassen 
bewirken (Richtungskonvergenz). Beide Effekte kann man entlang von 
Küstenabschnitten beobachten und werden durch Reibung der 
überströmten Luft an der Landoberfläche verursacht. Da die 
Geschwindigkeit schneller an die Bodenrauigkeit angepasst werden 
kann, kommt es zunächst zur Geschwindigkeits- und weiter landeinwärts
zur Richtungskonvergenz (Abbildung 1).

Welchen Einfluss hat nun die Küstenkonvergenz auf das 
Wettergeschehen? Das Zusammenströmen führt dazu, dass entlang von 
Küstenlinien die Luft zum Aufsteigen gezwungen wird (Abbildung 2). Da
die vom Meer kommende Luft meist recht feucht ist, entstehen schnell 
Wolken. So kann man - wie in meiner eingangs beschriebenen 
Beobachtung - manchmal über dem Meer keine einzige Wolke am Himmel 
erblicken, während sich über dem Festland dicke Quellwolken 
(Abbildung 3+4). Ist die Luft zudem ausreichend labil geschichtet, 
kann sie entlang der Küste oder über dem angrenzenden Festland bis in
große Höhen aufsteigen. Die Folge sind vertikal mächtige Schauer- 
oder sogar Gewitterwolken (Abbildung 5). Haben sich schon über dem 
Meer Schauer gebildet, ziehen diese Schauer mit hoher Geschwindigkeit
über die vorgelagerten Inseln hinweg, sodass man dort oft nur eine 
kurze Regendusche abbekommt, während sich die Schauer auf dem 
Festland stauen und für länger anhaltende Regenfälle sorgen können.

Anders herum funktioniert dieser Küsteneffekt auch. Weht ein 
ablandiger Wind (vom Land Richtung Meer), wird die Strömung über dem 
Meer beschleunigt. Wie beim sich auflösenden Verkehrsstau strömen die
Luftmassen (respektive Autos) auseinander und die Dichte nimmt ab. 
Man nennt diesen umgekehrten Prozess Divergenz. In der Folge sinkt 
die Luft ab und es kommt über dem Meer zu einer Wetterbesserung. Es 
gibt also eine einfache Erklärung, weshalb die Küste oft eine 
Wetterscheide ist.

Die Küstenkonvergenz kommt an sämtlichen Küsten der Welt vor. Handelt
es sich um gebirgige Küsten, können die Effekte noch deutlich stärker
als an der Nordsee ausgeprägt sein.


Dr. rer. nat. Markus Übel (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale 
Offenbach, den 08.12.2020

Copyright (c) Deutscher Wetterdienst

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