Thema des Tages

Meteorologischer Winteranfang mit weißer Pracht und Glatteisgefahr


Der diesjährige meteorologische Winteranfang hat zumindest in der 
Mitte und im Süden Deutschlands einiges zu bieten. Eine spannende 
Lage für uns Meteorologen, die aber im Detail schwer vorherzusagen 
war.

Heute bekommen Sie einen kleinen Einblick in unsere Arbeit und das 
sogenannte Nowcasting, also die detaillierte Erfassung der 
augenblicklichen Wettersituation und die daraus abgeleitete möglichst
exakte Wettervorhersage für die nächsten zwei Stunden. Zudem erfahren
Sie, warum an einigen Orten manchmal mehrere Warnungen mit 
unterschiedlichen Wetterereignissen bestehen.

Das kleinräumige Tief UNDINE II erreichte mit seiner Warmfront am 
gestrigen Montagabend den Nordwesten Deutschlands. Wer im Nordwesten 
und Westen einen Fuß vor die Tür setzte, wird es mitbekommen haben, 
dass es zunächst zu regnen begann. Im Nordwesten blieb es auch 
vielerorts bei der flüssigen Niederschlagsphase. Je weiter der 
Niederschlag aber nach Süden und Südosten vorankam, desto kritischer 
wurde die Lage. Auch für uns Meteorologen war es schwierig, nur 
anhand der Wettermeldungen und des Radarbildes die genaue 
Niederschlagsart bei Ihnen vor Ort einzuschätzen. Nach der 
Interpretation aller Vorhersageprodukte war uns klar: Der 
überwiegende Teil des Niederschlags wird zwar als Schnee fallen bzw. 
von Regen in Schnee übergehen. Aber es wird Regionen in Deutschland 
geben, in denen es zu gefrierendem Regen kommt.

Wie war nun also unser Vorgehen? 

Als der Niederschlag einsetzte, warfen wir einen Blick auf die 
Lufttemperatur in zwei Meter Höhe, die knapp über 0 Grad lag. Auch in
fünf Zentimeter Höhe bzw. direkt über dem Boden wurden ähnliche Werte
gemessen. Eine undankbare Lage, denn bei diesen Temperaturen kann es 
an der einen Stelle bei positiven Temperaturwerten regnen und alles 
ist unkritisch, an der anderen Stelle aber bei leicht negativen 
Werten gefrierenden Regen mit erheblicher Glättegefahr geben. Die 
dringenden Fragen waren also: Fällt der Niederschlag als Regen oder 
als Schnee? Wenn Regen fällt, wo ist der Boden so kalt, dass der 
Niederschlag zu Glatteis führt? Wann geht der Regen in Schnee über, 
sodass sich die Glatteissituation allmählich wieder entspannt? 

Die Vorhersagedaten im Vorfeld lieferten uns schon den Hinweis auf 
eine sogenannte "warme Nase" in den unteren Troposphärenschichten, 
also eine Schicht mit Temperaturen über null Grad, während es am 
Boden und in höher gelegenen Schichten kälter war. Dies ist immer ein
Signal, dass es unter Umständen gefrierenden Regen geben kann (siehe 
hierzu das Thema des Tages vom 30.11.2020: https://t1p.de/1v1n). Ein 
Blick auf die um 19 Uhr eintrudelnden Radiosondenaufstiege (siehe 
Thema des Tages vom 03.07.2020: https://t1p.de/3izk) aus Essen und 
Idar-Oberstein verriet uns, dass es tatsächlich eine "warme Nase" in 
den unteren 1500 Metern in der Atmosphäre gab. Diese war sogar etwas 
ausgeprägter als in den Vorhersagen. Jedoch führt nicht jede "warme 
Nase" automatisch zu gefrierendem Regen. Es müssen etliche Zutaten 
zusammenpassen, die in aller Kürze folgendermaßen aussehen: Zum einen
muss die Atmosphäre genug Feuchtigkeit aufweisen (gesättigt sein), 
damit überhaupt Niederschlag zustande kommt. Zum anderen muss die 
warme Temperaturschicht groß genug sein, um Eisteilchen aus höheren 
Atmosphärenschichten zum Schmelzen zu bringen. Und zu guter Letzt 
müssen die Temperaturen am Boden unter null Grad liegen, sonst würde 
der Regen nicht gefrieren.

An den Radiosondenaufstieg von Idar-Oberstein (Rheinland-Pfalz) von 
gestern Abend und um Mitternacht kann die Situation sehr schön 
erklärt werden: Um 18 UTC gingen in der mittleren Atmosphäre - in 
etwa drei bis sechs Kilometer Höhe - die Temperaturkurve 
(durchgezogene Linie) und die Taupunktkurve (gestrichelte Linie) 
stark auseinander. Das heißt, dass in diesen Schichten sehr wenig 
Feuchtigkeit vorhanden und die Atmosphäre in dieser Höhe relativ 
trocken war. Schaut man etwas tiefer, ist zum einen die Inversion bei
etwa 1500 Meter erkennbar, zum anderen, dass Temperatur- und 
Taupunktkurve sich unterhalb von 3 Kilometern stark annähern, die 
Atmosphäre dort also feucht war. Am Boden herrschten Temperaturen 
unterhalb des Gefrierpunkts. Eine erhöhte Vorsicht war also geboten, 
denn eventueller Niederschlag konnte dort gefrieren! Bringt aber eine
Atmosphäre, die oberhalb von 3 Kilometern trocken ist, überhaupt 
Niederschlag? Ja! Unterhalb von 3 Kilometern war es feucht genug und 
dieser Sprühregen reichte aus, um am Boden für eine Glatteisschicht 
zu sorgen. Zudem näherte sich die Front, wodurch sich der 
Niederschlag verstärkte.

Um 0 UTC hatte das Niederschlagsgebiet Idar-Oberstein schon 
größtenteils überquert. Der dortige Radiosondenaufstieg zeigte 
dementsprechend ein anderes Bild: Zwischen drei und sechs Kilometer 
war die Atmosphäre nun gesättigt, dort waren also auch viele 
Eispartikel vorhanden. Die "warme Nase" war nicht mehr ganz so 
ausgeprägt, dennoch existent. Aber die Temperatur am Boden lag 
weiterhin unterhalb des Gefrierpunkts. Alles in Allem waren also die 
Bedingungen für gefrierenden Regen weiterhin erfüllt.

Dies spiegelte sich in den offiziellen Wettermeldungen an unseren 
Wetterstationen wider, aber auch in unserer WarnWetterApp liefen 
hunderte Meldungen über gefrierenden Regen in dieser Region ein. Die 
Lage war dort relativ eindeutig. Nun war die Frage, ob der 
Niederschlag dort auch noch in Schnee übergehen würde? In anderen 
Regionen (zum Beispiel von NRW bis nach Unterfranken (BY) und in den 
Nordwesten Baden-Württembergs hinein) sah es etwas unklarer aus. Laut
der Wettermeldungen begann auch dort das Ereignis verbreitet mit 
Regen. Aber durch die Verdunstungsabkühlung (siehe DWD-Lexikon: 
https://t1p.de/bvxo) sank die Temperatur in der unteren Troposphäre, 
sodass geschmolzene Eispartikel und Schneeflocken durch eine kältere 
Schicht fielen und dann als Eiskörner niedergingen. Im weiteren 
Verlauf des Abends mischten sich mehr und mehr Schneeflocken unter 
den Niederschlag, weil die "warme Nase" mehr und mehr abgebaut wurde 
und Eispartikel sowie Schneeflocken aus den höher gelegenen Schichten
nicht mehr schmelzen konnten. 

Für uns Meteorologen war es ein sehr spannendes Ereignis. Im Umkreis 
von 50 Kilometer um den Standort Offenbach meldeten wir uns 
gegenseitig die Niederschlagsphasen zu. Zwischen 20 Uhr und 
Mitternacht wechselte die Niederschlagsart zwischen Regen, Eiskörnern
und Schnee hin und her. Zum Teil waren alle Arten gleichzeitig 
vertreten. Auch dies gaben die Wettermeldungen unserer Nutzer der 
WarnWetterApp wieder. Wenn man sich die App-Meldungen von gestern 
Abend betrachtete und zwischen den einzelnen Meldeparametern 
wechselte, stellte man fest, dass Regen, gefrierender Regen und 
Schneefall von NRW, Rheinland-Pfalz und Saarland über Hessen bis in 
den Nordwesten von Bayern und Baden-Württemberg gleichzeitig gemeldet
wurden.

Und hier erkennt man die Krux des Ganzen! Warum bekomme ich als 
Nutzer in der WarnWetterApp eine Schneefallwarnung mit großem 
zeitlichen Vorlauf und kurz vor dem Beginn dieser Warnung noch eine 
Warnung vor Glatteis durch gefrierenden Regen? Ich hoffe, Sie können 
sich nach Lesen dieses Beitrags diese Frage nun selber beantworten. 


In diesem Sinne: Genießen Sie den Schnee, sofern Sie ihn genießen 
können und wollen!


Dipl.-Met. Julia Fruntke 
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale 
Offenbach, den 01.12.2020

Copyright (c) Deutscher Wetterdienst

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