Thema des Tages

Kleine Synoptikkunde (6) - Der geostrophische Wind

Der Wind weht vom Hoch zum Tief - so wird es gelehrt. Das ist auch 
richtig so, aber die Realität ist wie so oft etwas komplizierter. Wie
es sich tatsächlich mit dem Wind verhält, erklären wir im heutigen 
Thema des Tages.

Grundlage des Windes sind Druckunterschiede in der Atmosphäre. Diese 
Druckunterschiede wollen ausgeglichen werden, und das geschieht durch
Wind, der vom hohen zum tiefen Druck weht. An dieser Stelle könnte 
die Geschichte schon zu Ende sein - wenn die Erde eine einfache, 
bewegungslose Fläche wäre. Tatsächlich haben wir es aber mit einer 
kugelähnlichen Gestalt zu tun, die sich auch noch um sich selber 
dreht. Das verkompliziert die ganze Angelegenheit dahingehend, dass 
dadurch noch weitere Kräfte ins Spiel kommen, die auf den Wind 
einwirken. Die antreibende Kraft vom Hoch zum Tief wird durch den 
Druckunterschied verursacht, und heißt "Druckgradientkraft". Ohne 
Druckgebiete gäbe es keine Druckgradientkraft und somit zunächst 
einmal auch überhaupt keinen Wind. Je größer der Druckunterschied, 
desto größer ist auch die Druckgradientkraft, und desto stärker weht 
der Wind.

Gleichzeitig dreht sich die Erde aber quasi unter dem Wind hinweg 
weiter. Für einen sich mit der Erde mitdrehenden Beobachter sieht es 
dabei so aus, als würde das Luftpaket zur Seite abgelenkt werden. Die
Kraft, die das bewirkt, heißt "Corioliskraft". Die Corioliskraft ist 
dabei eine sogenannte "Scheinkraft", denn sie tritt nur abhängig vom 
Standpunkt des Beobachters auf. Ein Beobachter, der im Weltraum auf 
die rotierende Erde schaut, würde z.B. keine solche Ablenkung 
wahrnehmen. Beide Kräfte, die Druckgradientkraft und die 
Corioliskraft, "zerren" nun solange an einem Luftpaket, bis sich 
beide Kräfte im Gleichgewicht befinden. Den daraus resultierenden 
Wind nennt man "geostrophischen Wind". In der unten gezeigten 
Abbildung (https://t1p.de/ja3u) ist dieses Prinzip auch nochmal 
grafisch dargestellt.

In der Wirklichkeit wirken aber noch mehr als nur die zwei 
betrachteten Kräfte auf das Luftpaket. Daher ist der geostrophische 
Wind auch ein vorwiegend theoretisches Konzept. Wenn er wirklich so 
wie beschrieben aufträte, würden sich z.B. Druckgebiete niemals 
auffüllen können, da der Wind ausschließlich parallel zu ihnen wehen 
würde. Echter geostrophischer Wind tritt nur unter den Bedingungen 
auf, dass die Isobaren geradlinig und nicht gekrümmt verlaufen, und 
dass die Strömung komplett reibungsfrei ist. Im Falle gekrümmter 
Isobaren wirkt zusätzlich noch die "Zentrifugalkraft" auf ein 
Luftpaket. Das Gleichgewicht aus Druckgradient-, Coriolis-, und 
Zentrifugalkraft nennt man "Gradientwind". In der Realität ist eine 
Strömung natürlich auch niemals reibungsfrei, sondern wird vor allem 
am Boden immer durch Hindernisse gestört und abgelenkt. Diesen Betrag
der Abweichung nennt man "ageostrophischen Wind". Die Summe aus 
geostrophischem und ageostrophischem Wind ist dann der tatsächlich 
wehende Wind. Die ageostrophische Windkomponente sorgt letzten Endes 
dafür, dass sich Hochdruckgebiete wieder abbauen und Tiefdruckgebiete
wieder auffüllen. Die Tatsache, dass die Reibung und damit der 
ageostrophische Wind über dem Meer viel kleiner sind als über Land, 
sorgt zum Beispiel dafür, dass sich Druckgebiete über dem Ozean sehr 
viel stärker entwickeln können. Als Beispiel seien sehr starke 
Orkantiefs über dem Atlantik genannt. Unter anderem aus dem gleichen 
Grund zerfallen tropische Stürme sehr rasch, sobald sie auf Land 
treffen.

M.Sc. Felix Dietzsch 
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale 
Offenbach, den 16.11.2020

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