Thema des Tages
Hangwinde
Gebirgsketten nehmen einen großen Einfluss auf das regionale
Wettergeschehen. Die komplexe Topographie verursacht lokale
Windphänomene wie das Hangwindregime und das mit diesem eng
verzahnten Tal- und Bergwindsystem. Ersterem widmen wir uns heute
etwas genauer.
Mit dem Fortschreiten des Frühlings rückt auch die nächste
Wandersaison langsam wieder in den Fokus (Vorbehaltlich einer
Lockerung der derzeitigen Ausgangsbeschränkungen). Jeder der einmal
einen Wanderurlaub - sei es in die Alpen oder in unseren
Mittelgebirgen - unternommen hat, wird vermutlich den Hangwind schon
mal wahrgenommen haben. Aber auch Segel-, Drachen-, oder
Gleitschirmflieger machen sich selbigen oft zu nutze.
Die Hangwindzirkulation ist ein tagesperiodisches Windsystem, das im
Gebirge überwiegend bei ruhigen Hochdruckwetterlagen entsteht, und
als ein Teilglied in die Berg- und Talwindzirkulation eingebettet
ist. Die Grundvoraussetzung ist starke, möglichst störungsfreie
Sonneneinstrahlung. Nach dem Sonnenaufgang fällt die Strahlung
zunächst auf die Osthänge der Bergketten, während die nach Westen
abfallenden noch im Schatten liegen. Dadurch setzt an den
sonnenbeschienenen Hängen eine rasche und starke Erwärmung des Bodens
ein. Auf den der Sonne zugewandten Hängen ist der Einfallswinkel zur
Sonnenstrahlung nahe bei 90°. Diese Hänge erhalten mehr Energie pro
Fläche und werden stärker aufgeheizt als hangferne Luft im Tal.
Diesen Wärmeüberschuss gibt der Boden an die darüber liegende Luft
ab. Die nun erzeugte dünne Warmluftschicht ist aber deutlich leichter
als die kalte Umgebung und beginnt daher in Form von Warmluftblasen
aufzusteigen. Dabei spielt auch die geringere Luftdichte in den
Hochlagen, die zuerst von der Sonne bestrahlt werden, eine Rolle. Auf
z.B. 2000 m Höhe hat die Luftdichte gegenüber der Meereshöhe um fast
20% abgenommen. Entsprechend weniger Energie wird benötigt, um die
Luft aufzuheizen. Weitere Faktoren bei der Erwärmung spielen aber
auch die Oberflächenform und der Bewuchs. So erwärmen sich
vegetationsarme Wiesen- oder Schotterhänge schneller als dunkle
Wälder oder Seen.
Wanderer können die aufsteigenden Warmluftblasen in den
Vormittagsstunden an einem sonnenbeschienenen Hang beim Aufstieg
wahrnehmen. Für einige Sekunden ist eine deutliche Temperaturerhöhung
spürbar. Gleichzeitig kann man auch vorübergehend viel stärker den
Duft von Blüten oder auch Tannen wahrnehmen, deren Duftstoffe die
Warmluftpakete beim Aufgleiten aufnehmen können.
Wird die Folge der aufgleitenden Luftpakete immer dichter, entsteht
der Hangaufwind. Dessen Geschwindigkeit beträgt in der Regel etwa 2
bis 4 m/s. Die Hangaufwinde erreichen eine Mächtigkeit von nur
wenigen Metern bis zu einigen Dekametern (im Maximum meist deutlich
unter 100 m).
Die Luft kühlt sich schließlich beim Aufsteigen ab und sinkt über der
Mitte des Ursprungstals oder aber auch im Nachbartal wieder in
tiefere Lagen ab. Auch an den unbesonnten Hängen kommt es noch zu
Abgleitvorgängen. Insgesamt bildet sich eine geschlossene
Hangwindzirkulation. Im Tagesverlauf verlagert sich mit der Änderung
des Sonnenstandes bei Nord-Süd-Tälern der aufwärts gerichtete Ast der
Hangaufwindzirkulation am Nachmittag zum Westhang hin. Bei
Ost-West-Tälern bleibt er hingegen den ganzen Tag über dem Südhang.
Wegen des beschränkten Luftvolumens im Tal wird zunehmend Luft aus
dem Vorland ins Tal gezogen und es entsteht im Laufe des Vormittags
ein zusätzlicher Wind, der das Tal hinauf weht, der Talwind. (Diesem
werden wir uns in einem weiteren Thema des Tages genauer widmen.)
Die Luft, die aus den Tälern nachgeführt und sukzessive die Hänge
hinauftransportiert wird, ist meist feucht. Auch sie wird erwärmt und
steigt ebenfalls auf, wodurch sie sich abkühlt und relativ gesehen
feuchter wird. Wenn sie das Kondensationsniveau (100 % Luftfeuchte)
erreicht, bilden sich meist um die Mittagszeit über den Berggipfeln
und -kämmen die ersten Quellwolken.
Mitunter können sich bei ausreichender Labilität Schauer oder
Gewitter bilden. Über den Tälern bleibt es hingegen oft wolkenlos, da
sich die absinkende Luft erwärmt und dabei relativ gesehen trockener
wird.
Für Segel- oder Gleitschirmflieger sind Hangaufwinde, neben der
Thermik, die wichtigste Antriebsquelle. Bereits ein relativ schwacher
Hangaufwind kann zu einem merklichen Höhengewinn führen, wenn die
Flugroute parallel zum sonnen- bzw. windseitigen Hang verläuft.
Am Abend und in der Nacht drehen sich die Verhältnisse um. Kurz vor,
spätestens aber mit dem Sonnenuntergang kommt der Hangwind zum
Erliegen. Nach zeitweiligem Stillstand der Luftbewegung kehrt sich
das Windsystem schließlich um. Die Luft über den Hochebenen und den
Berghängen des Gebirges kühlt sich durch die stärkere Ausstrahlung
schneller ab als die Luft über dem Tal in vergleichbarer Höhe. Die
nun kühlere, dichtere und somit schwerere Luft strömt die Hänge
hinab, fließt im Tal zusammen und sorgt so für frische Luft am
Talgrund, der Hangabwind hat eingesetzt. Die abwärtsgerichteten Winde
haben geringere Mächtigkeit als die Hangaufwinde und ihre
Geschwindigkeiten sind in der Regel auch kleiner. Nur an steilen und
langen Hängen kann das Abfließen der Kaltluft stark und
außerordentlich böig sein.
MSc.-Met. Sebastian Altnau
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 28.03.2020
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