Thema des Tages

Die klassische Föhntheorie: Lehrbuchstoff mit Schönheitsfehlern


So ziemlich jedem wird sie schon einmal über den Weg gelaufen sein: 
Die klassische Föhntheorie. Dass sie allerdings die ein oder andere 
Schwachstelle aufweist, dürfte nur Wenigen bekannt sein.


In den vergangenen Wochen war er ein stetiger Mitgestalter des 
Wettergeschehens in Deutschland: Der Föhn. Als warmer, trockener 
Fallwind wehte er auf der Alpennordseite mancheinem einerseits 
ordentlich um die Ohren und erreichte in einigen Föhntälern sogar 
Sturmstärke (bzw. Orkanstärke auf den Gipfeln). Andererseits sorgte 
bzw. sorgt er generell lokal für rasante Temperatursprünge und führt 
besonders im Winterhalbjahr zu für die Jahreszeit 
überdurchschnittlichen Temperaturen. Tatsächlich beschränkt man sich 
bei der Bezeichnung "Föhn" aber nicht nur auf die nördliche 
Alpenregion, sondern beschreibt damit generell einen beim Überströmen
von Gebirgen auftretenden trocken-warmen Fallwind. 

Bei der altbekannten klassischen Föhntheorie (auch thermodynamische 
Föhntheorie genannt), die in zahllosen Lehrbüchern zu finden ist, 
werden Wetterlagen beschrieben, bei denen Luft mehr oder weniger 
senkrecht auf ein Gebirge zufließt und, um dieses Hindernis zu 
passieren, darüber hinweg strömt. 

Nehmen wir mal an, die Luft hätte am Fuße des Berges in 500 m Höhe 
über dem Meeresspiegel (ü.NN) eine Temperatur von 15 Grad. Beim 
Aufstieg kühlt sie dabei um knapp 1 K pro 100 m ab 
(Temperaturunterschiede werden per definitionem in Kelvin (K) und 
nicht in Grad Celsius angegeben). Irgendwann ist die Luft soweit 
abgekühlt, dass sie den in ihr vorhandenen Wasserdampf nicht mehr 
halten kann und dieser schließlich kondensiert. Es bilden sich 
Wolken. Das soll in unserem Beispiel nach einem Aufstieg von 1000 m 
(also in 1500 m Höhe ü.NN) der Fall sein. Die Luft hat sich also um 
10 K von 15 auf 5 Grad abgekühlt. 

Bei der Kondensation - also bei der Wolkenbildung - wird Wärme 
freigesetzt, die an die Umgebung abgegeben wird. In der Folge kühlt 
die Luft nun nur noch um etwa 0,65 K pro 100 m ab. Die Luft steigt 
weiter auf, die Wolken werden mächtiger und es kommt zum Teil zu 
ergiebigen Regen- oder Schneefällen, wie derzeit beispielsweise auf 
der Alpensüdseite und inneralpin. Man spricht dabei auch von 
sogenannten Stauniederschlägen. Nach weiteren 1000 m Aufstieg (also 
in 2500 m Höhe ü.NN) soll die Luft nun den Berggipfel erreicht und 
sich ausgeregnet haben. Bis dahin hat sie sich um weitere 6,5 K von 5
auf -1,5 Grad abgekühlt. 

Die Luft strömt nun über den Gipfel und fällt unter stetiger 
Erwärmung wieder bergab. Da wärmere Luft mehr Wasserdampf aufnehmen 
kann als kältere, verdunsten die Wolkentröpfchen und es kommt zur 
Wolkenauflösung. Beim weiteren Absinken der nun immer trockener 
werdenden Luft steigt ihre Temperatur wieder um knapp 1 K pro 100 m 
an. Lassen wir sie auf 500 m Höhe ü.NN im Tal ankommen, nimmt ihre 
Temperatur um 20 Grad von -1,5 auf 18,5 Grad zu und ist damit um 3,5 
Grad wärmer als kurz vor ihrem Aufstieg auf der anderen Bergseite - 
zumindest in unserem Beispiel. Durch die nun ungehinderte 
Sonneneinstrahlung kann es auf der Leeseite des Gebirges entsprechend
der Jahreszeit auch noch wärmer werden. Unter www.dwd.de/lexikon 
finden Sie unter "Föhn" eine Grafik, die die klassische Föhntheorie 
mit anderen Beispielswerten anschaulich darstellt. 

Doch so plakativ diese Theorie auch scheinen mag, sie hat leider die 
eine oder andere Schwachstelle. Beispielsweise wurden schon häufiger 
Föhnereignisse ohne Niederschlag, bzw. zum Teil sogar ohne 
Wolkenbildung auf der Luvseite (also auf der dem Wind zugewandten 
Seite des Berges) beobachtet. Was es damit auf sich hat und wie die 
sog. hydraulische Föhntheorie damit aufräumt, lesen Sie 
voraussichtlich am kommenden Samstag, den 23.11.2019, an dieser 
Stelle.


Dipl.-Met. Tobias Reinartz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale 
Offenbach, den 20.11.2019

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