Thema des Tages

Oimjakon – das kälteste bewohnte Dorf der Welt?

Während in diesen Tagen in Deutschland bereits Frühlingsgefühle aufkommen, ist es derzeit in Sibirien bitterkalt. Aber wie definieren Menschen Kälte? In Deutschland kann die Temperatur in den
Wintermonaten in Großstädten durchaus auf Werte unter -15 Grad Celsius absinken, vor allem in Tälern unserer Mittelgebirge und den Alpen sind in manchen Dörfern in klaren Winternächten auch noch deutlich tiefere Temperaturen möglich. Historische Daten belegen, dass das Quecksilber in besonders strengen Wintern selbst in Großstädten unter -30 Grad angezeigt hat (z.B. -31,6 Grad in München am 12. Februar 1929).

Es kann aber auf unserer Erde noch viel kälter werden. Erst vor gut zwei Wochen suchte eine extreme Kältewelle große Teile Nordamerikas heim und war sogar in hiesigen Medien ein großes Thema. In einigen Orten Kanadas und den USA fiel die Temperatur auf deutlich unter -40 Grad. Kräftiger Wind lies diese Temperaturen dabei noch um einiges kälter anfühlen. Doch auch damit ist noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. Ein alljährlicher Kältepol ist Sibirien. Im Nordosten von Jakutien (Russland) befindet sich das Dorf Oimjakon (knapp 800 Einwohner, siehe Karte in angefügter Grafik). Dort steht eine Wetterstation, die im Winter regelmäßig Temperaturen von unter -50 Grad misst. Am 6. Februar 1933 wurde dort die bislang tiefste Temperatur registriert: -67,8 Grad. Dies ist der offizielle Weltrekord an einem bewohnten Ort. Manche Medienberichte stützen sich auf -71,2 Grad aus dem Jahr 1926, allerdings gab es zu dieser Zeit keine Temperaturmessung vor Ort und der Temperaturwert wurde von Meteorologen geschätzt. In den vergangenen Nächten wurden in dieser Region übrigens um -55 Grad gemessen, die bisher tiefste Temperatur im aktuellen Winter 2018/19 betrug -55,9 Grad am Morgen des 15. Januars.

Doch wie kommen solche extremen Temperaturen zustande?

Verantwortlich für die eisigen Temperaturen ist das sogenannte „sibirische Kältehoch“, welches sich jeden Winter etwa von Oktober bis April ausbildet. Russland ist geprägt von großen Landmassen, die über Sibirien häufig bereits im Oktober mit Schnee bedeckt sind. In den immer länger werdenden Nächten kühlt die Luft im Gegensatz zum Meer über den ausgedehnten schneebedeckten Flächen deutlich stärker ab. Da kalte Luft schwerer als warme Luft ist, verbleibt die kalte Luftmasse am Boden, breitet sich horizontal aus und der Luftdruck steigt. In der Folge entsteht ein flaches (thermisches) Kältehoch. Der Schwerpunkt dieses Hochs liegt im Mittel über Südsibirien. Fast jeden Winter kommt es vor, dass Ableger des Hochs mit Kaltluft im Gepäck in Richtung Osteuropa wandern. Mit einer östlichen Strömung kann die russische Kälte dann in abgeschwächter Form manchmal auch bis zu uns nach Deutschland gelangen – eine Kältewelle mit
Dauerfrost, sehr strengen Nachtfrösten und einem eisigen
(Nord-)ostwind wäre die Folge.

Welcher Ort ist kälter? Oimjakon oder Werchojansk?

Nicht nur in Oimjakon kann es extrem kalt werden. Am 5. und 7. Februar 1892 hat auch eine Wetterstation in Werchojansk (etwa 640 km Luftlinie von Oimjakon entfernt) die gleiche Temperatur gemessen (-67,8 Grad). Seitdem „kämpfen“ beide Dörfer darum, welches das kälteste von beiden ist. Immerhin wirkt ein solcher Rekord
tourismusfördernd. Ich persönlich habe Oimjakon 2014 und Werchojansk 2017 besucht und die Einwohner beider Dörfer behaupten, dass sie natürlich die Rekordhalter sind. Da beide Dörfer jedoch den gleichen Temperaturwert halten, gibt es keine Möglichkeit zu entscheiden, welches Dorf das kälteste ist. Zudem muss auch beachtet werden, dass es weltweit deutlich weniger Wetterstationen gibt als Orte, in denen Menschen leben, aber keine Messungen vorgenommen werden. Nach Berichten von Einheimischen, die ich getroffen habe, gibt es Dörfer, die im Winter bei klarem Himmel regelmäßig kälter sind als Oimjakon oder Werchojansk, beispielsweise Delyankir und Yuchugey. Beide Orte liegen in der gleichen Region wie Oimjakon und sind im Durchschnitt nochmal 2-3 Grad kälter (z.B. Delyankir vergangene Nacht -56,7 Grad). Alles in allem ist es unmöglich, den kältesten bewohnten Ort der Erde zu finden. Meine persönlich tiefste Temperatur, die ich auf meinen Reisen gemessen und erlebt habe, war übrigens -56 Grad. Ein unbeschreibliches Gefühl und sehr schwer in Worte zu fassen. Wer -20 Grad aus Deutschland kennt und sich länger im Freien aufhält, weiß: irgendwann schmerzen die Gesichtsmuskeln und die Nasenschleimhäute können einfrieren. In Sibirien ist es genauso, nur dass dies schneller eintritt.

Doch wie leben die Einheimischen mit der Kälte? Wie sieht der Alltag aus? Dies und mehr wird in einem weiteren Thema des Tages
ausführlicher beantwortet.

Dipl.-Met. (FH) Sebastian Balders, in Zusammenarbeit mit Dr. Markus Übel
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 17.02.2019

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