SXEU31 DWAV 060800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Freitag, den 06.12.2019 um 08 UTC

GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: Wz (West zyklonal)

Heute und kommende Nacht gebietsweise Glatteis (Mitte, Süden), Unwetter nicht
ausgeschlossen. Darüber hinaus auffrischender und mit unterschiedlicher
Intensität auch am Wochenende andauernder Wind, meist aus Südwest.

Synoptische Entwicklung bis Sonntag 24 UTC

Freitag… ist die seit Tagen apostrophierte Umstellung der Großwetterlage
bereits in vollem Gange. Vom vor wenigen Tagen noch in den Potenzialkarten
auftretenden Omegamuster ist nichts mehr übriggeblieben, stattdessen rückt uns
von Norden her die zwar leicht mäandrierende, im Kern aber von West nach Ost
exponierte Frontalzone immer dichter auf den Leib. Sie erstreckt sich über
tausende von Kilometern etwa von Neufundland über den mittleren Noratlantik und
Südskandinavien bis nach Russland. Eingelagert ist ein kurzwelliger Trog, der
heute UK/Irland passiert, zum Abend hin die Nordsee erreicht und in der
kommenden Nacht schlussendlich auf den Vorhersageraum übergreift. Dem Trog
vorgelagert sind zwei flache Wellen, von denen die östliche heute früh über
Südskandinavien analysiert werden konnte, von wo aus sie in den nächsten Stunden
via Bottenbusen ostwärts abzieht. Ihr folgt ein zweites Exemplar (QUENTIN), das
seinen Sitz bis Mitternacht von den Färöers nach Mittelschweden verlegt. Beide
Wellen sind nicht nur mit einem Frontensystem verbunden, dessen Warmfront und
aktuell von Nordwesten her traktiert und dessen (Thermisch schwache) Kaltfront
in der Nacht zum Samstag unseren Raum erreicht. Beide Wellen halten auf ihren
Südflanken außerdem einen veritablen Luftdruckgradienten zu der immer weiter
nach Süden abgedrängten Hochdruckbrücke aufrecht, die Teilen des Landes einen
windigen Nikolaustag beschert.
Neben der gesamten Strömungskonfiguration ist natürlich auch der bevorstehende
Luftmassenwechsel von allerhöchstem Interesse. Dazu lohnt sich (eigentlich lohnt
sich das immer) ein Blick auf die nächtlichen Radiosondenaufstiege. Während im
Norden (Schleswig, Norderney) eine von unten bis etwa 600 hPa weitgehend
gesättigte untere Troposphäre mit durchweg positiv temperierter Grundschicht
registriert werden konnte, zeigen Temps in der Mitte und im Süden (z.B.
Meiningen, Oberschleißheim) noch das klassische hochdrucklastige
Grenzschichtprofil: kalter (und negativ temperierter) Fuß mit Sättigung bis 900
hPa, darüber starke Inversion mit markanter Abtrocknung und „warmer Nase“ bis
700 hPa. Darüber hinaus hat sich vor allem in den zentralen und den südlichen
Mittelgebirgen der Frost in den vergangenen Tagen sukzessive etwas weiter in den
Boden vorgearbeitet, an einigen Stellen bis zu 10 cm oder sogar etwas darüber.
Kurzum, die Rahmenbedingungen für gefrierenden Regen mit Glatteis sind gegeben,
und tatsächlich werden wir es heute und in der kommenden Nacht mit genau diesem
Phänomen zu tun bekommen.
Aktuell überdeckt ein leicht fraktiles Regenband den gesamten Norden und Westen
des Landes. Es ist übrigens kein frontaler Regen, sondern WLA und leichter PVA
vorderseitig des o.e. Höhentrogs geschuldet. Viel Regen fällt nicht, von einigen
Ausnahmen abgesehen liegen die Stundenraten unter 1 mm/h. Aufgrund des glatten
Geländes hat der aufgefrischte Wind die Temperatur in den unkritischen Bereich
gebracht, sprich, Glätte ist in nord- und westdeutschen Flachland kein Thema.
Das ändert sich, wenn der Niederschlag langsam aber sicher auf den Westteil des
zentralen Mittelgebirgsraum srespektive den Harz übergreift. Trotz
Gegenstrahlung und Windzunahme bleiben wie so oft einige Kältelöcher übrig, in
denen der fallende Regen beim Auftreffen auf den Boden gefriert. Schon in der
Nacht bzw. heute früh wurde eine markante Glatteiswarnung für einen von der
Eifel bis zum Harz reichenden Streifen herausgegeben. Evtl. muss es noch kleine
zeit- und räumliche Nachjustierungen geben, eine Hochstufung auf Unwetter wäre
nur dann erforderlich, wenn nicht nur die Kältelöcher, sondern eine größere
Fläche betroffen wäre, was sich derzeit aber nicht abzeichnet.
Zweites Thema neben dem Glatteis ist der Parameter Wind, der – wie eingangs
schon erwähnt – auch auf sich aufmerksam macht. Vor allem im Norden und Westen
sowie in höheren Lagen und in einigen Leegebieten der Mitte, also quasi überall
dort, wo nichts im Wege steht (damit sind nicht nur Berge gemeint, sondern auch
stabile Kaltluft), frischt der Südwestwind spürbar auf mit Böen 7 Bft, an der
See sowie im Norden SHs 8-9 Bft, in einigen exponierten Hochlagen sogar 10 bis
11 Bft. Relativ ruhig, von den Bergen mal abgesehen, bleibt es im Süden und
Südosten, wo die scheidende Hochdruckbrücke zudem noch so potent ist, die
zyklonalen Attacken von Nordwesten her zu kontern. Sprich, abseits der sich zum
Teil wieder nur zögernd auflösenden Nebel- und Hochnebelfelder scheint heute
noch mal ordentlich die Sonne, bevor später einige hohe und mittelhohe Wolken
aufziehen.
Die Temperatur steigt heute auf 2 bis 8°C, an der Nordsee sowie im Süden (in der
Inversion) noch etwas höher, dafür in den genannten Kältelöchern nur um 0°C.

In der Nacht zum Samstag greifen die Regenfälle dann auch auf den Süden und
Südosten über, wo die Temperatur z.T. vorher noch mal in den Frostbereich
zurückgegangen ist. Dazu kommt noch ein bisschen kalter Böhmischer Wind und
Frost im Boden, so dass das Damoklesschwert „Glatteis“ gewaltig am Schwingen ist
und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch zuschlagen wird – und
das nicht nur ockerfarben, sondern gebietsweise sogar (um in der Bildsprache zu
bleiben) „blutrot“. Betroffen sind schon in den Abendstunden der Thüringer Wald
und das Erzgebirge, vielleicht auch noch Rhön und Spessart, später dann der
fränkische Mittelgebirgsraum, die Oberpfalz und der Bayerische Wald nebst
Niederbayern. Ob das Ganze auch noch bis nach BW abfärbt (vor allem Schwäbische
Alb und obere Donau) und gegen Morgen noch die Alpen betrifft, muss abgewartet
werden.
Ansonsten gilt es noch festzuhalten, dass die o.e. Kaltfront trotz leichten
niedertroposphärischen Temperaturrückgangs (T850 um 0°C) keine wirkliche
Abkühlung bringt, z.T. steigt die 2m-Temperatur im Laufe der Nacht sogar an.
Darüber hinaus geht der Niederschlag mit Annäherung des KW-Troges im Nordwesten
in Schauer über, wobei ein kurzes Gewitter über der Nordsee nicht ganz
auszuschließen ist.
Warnrelevant bleibt der Wind, der hinter der Kaltfront (die zwar schwach
ausgeprägt ist, dafür aber in einem schönen Bodentrog eingebettet ist)
vorübergehend mal von Südwest auf West bis Nordwest springt. Vor allem im Norden
und in der Mitte wird mit Trogpassage in Böen gebietsweise Windstärke 7 Bft
erreicht, auf den Bergen weiterhin Sturm, exponiert Orkan. Stürmisch gibt sich
zunächst auch noch die Küste, bevor der Gradient hinter der Kaltfront (und dem
dazugehörigen Bodentrog) auseinandergezogen wird. Inwieweit der Wind im Süden
bis in tiefere Lagen durchgreift (simulierter LLJ plus Leitplankeneffekt), muss
abgewartet werden.

Samstag… wird der KW-Trog relativ zügig nach Osten durchgereicht, während sich
gleichzeitig über dem nahen Ostatlantik ein flacher Rücken aufwölbt. Dazwischen
generiert sich vorübergehend eine weitgehend indifferente nordwestliche
Höhenströmung, unter der wir den morgigen Bundesligasamstag genießen dürfen
(Achtung, Spitzenspiel Gladbach-Bayern). Bodennah gelangt mit leidlich flotter
Südwest- bis Westströmung subpolare Meeresluft in den Vorhersageraum (T850 um
0°C), in der sich der eine oder andere Schauer entwickelt. Die meisten davon
dürfte es in einem von der Nordsee über den Raum HH bis nach MV und das
nördliche BB reichenden Korridor geben, wo die leichte Labilität bis etwa
650-600 hPa hinaufreicht. Im Süden fällt an den Alpen anfangs noch etwas Regen,
lokal vielleicht gefrierend, was später aber nachlässt. Wolkenauflockerungen
sind morgen eine Rarität, wenn, dann trifft man sie am ehesten im äußersten
Süden oder im äußersten Norden an.
Anzusprechen ist einmal mehr der Wind, auch wenn dessen Duftmarken am morgigen
Samstag nur von limitierter Substanz sind. Die Annäherung eines flachen
Zwischenhochkeils von Westen her macht sich im Gradienten bemerkbar, der
vorübergehend etwas auffächert. Was bleibt ist ein mäßiger, mitunter böig
auffrischender Südwest- bis Westwind, der im Osten (anfangs) an der Küste sowie
im Norden in Schauernähe Böen 7 Bft parat hält. Ansonsten fokussieren sich
warnrelevante Böen bis zu Stärke 10 Bft auf exponierte Kamm-, Kuppen- und
Gipfellagen der Mittelgebirge und der Alpen.
Die letzten Kaltluftreste im Süden und Südosten werden ausgeräumt, so dass die
Temperatur abgesehen von höheren Lagen deutschlandweit auf 6 bis 11°C ansteigt.

In der Nacht zum Sonntag wandern der flache Höhenrücken nebst flachen
Bodenhochkeil zügig über Deutschland hinweg nach Osten. Wie so oft werden
derartige „Luschen“ von WLA überlaufen, die sich über den gesamten
Vorhersageraum ausbreitet und als Menetekel einer sich über dem Ostatlantik
zusammenbrauenden Sturmlage verstanden werden darf. Dort formiert sich nämlich
ein Doppelsturmtief mit zwei Kernen (es müsste sich um die Gebrüder RUDI I und
II handeln, ist aber noch nicht offiziell), die um Mitternacht mit einem
Kerndruck von etwas unter 970 hPa aufwarten. Mit im Paket sind ein
okkludierendes Frontensystem sowie ein vorgelagerte „heimatlose“ Warmfront (so
nennt man Fronten, die keine direkte Anbindung an das eigentliche Frontensystem
haben), die Kurs auf Südskandinavien respektive den europäischen Kontinent
nehmen.
Wettermäßig bedeutet das für uns nach einer kurzen Beruhigung (Wind und Schauer
betreffend) neues mehrschichtiges Gewölk und gegen Morgen im äußersten
Nordwesten die ersten Tropfen – vielleicht, denn die meisten externen Modelle
sind etwas defensiver vom Timing aufgestellt. Relevanter als der mögliche Regen
ist aber die Windzunahme. So frischt der auf Süd rückdrehende Wind in der
zweiten Nachthälfte zunächst im Westen und Nordwesten sowie in den Hochlagen auf
mit Böen 7, exponiert 8 Bft, an der Nordsee auch schon mal 9 Bft, in exponierten
Kammlagen bis zu 11 Bft.

Sonntag… formiert sich über dem nahen Ostatlantik ein relativ breiter und
zunächst flacher Höhentrog, der sich im Laufe des Tages aber noch etwas
amplifiziert und zum Montag hin auf Deutschland übergreift. Korrespondierend
dazu bringen sich die beiden o.e. Tiefs in Stellung, sie liegen am Mittag
zwischen den Färöers (der westliche Kern bis etwas unter 960 hPa) und Svinöy/NOR
(der östliche Kern mit etwas unter 965 hPa). Und als ob das nicht schon reicht,
gesellt sich noch ein dritter Geselle dazu (wäre dann vielleicht RUDI der
Dritte), der als Teiltief an der Okklusion entsteht und um 12 UTC im
Übergangsbereich von Skagerrak zu Kattegat seinen Platz finden soll.
Südlich dieses imposanten Trios schwenkt nicht nur die Okklusion im Laufe des
Tages über den Vorhersageraum hinweg, es baut sich zudem ein langgestreckter und
vor allem nach Westen knackiger West-Südwestfetch auf, der vom Ostatlantik bis
nach Mitteleuropa reicht. Entsprechend darf sich Deutschland auf „traumhaftes“
Dritter-Advent-Wetter einstellen, an dem es nichts Schöneres gibt, als einen der
zahlreichen Weihnachtsmärkte zu besuchen – oder man geht arbeiten. Tatsache ist,
dass mit der Okklusion ein Regengebiet von Nordwest nach Südost durchzieht. Am
längsten trocken (wahrscheinlich bis zum Abend) bleibt es am Alpenrand sowie im
südöstlichen Bayern, wo bei aufgelockerter Bewölkung sogar „Klärchen“ für einige
Zeit zu sehen sein wird. Da die Okklusion Kaltfrontcharakter hat, geht die
850-hPa-Temperatur in der rückseitig einfließenden subpolaren Meeresluft auf
etwas unter 0°C zurück. Dabei entwickeln sich einzelne Schauer, mit zunehmender
Höhenkaltluft (T500 um -30°C) im äußersten Nordwesten später auch kurze Gewitter
(mit Sturmböen).
Der auf Südwest drehende Wind frischt landesweit merklich auf, wenn auch mit
unterschiedlicher Intensität. Noch stehen nicht alle Details fest, aber im Osten
und Süden zeichnet sich eher ein Windminimum ab (was aber nicht bedeutet, dass
nicht auch dort einige Böen 7 oder 8 Bft am Start sind). An der Küste wird es
sowieso stürmisch (Nordsee stärker als Ostsee), vereinzelt kann es hochgehen bis
Stärke 10 Bft. Auf den Bergen stehen exponiert Orkanböen 11 bis 12 Bft auf der
Karte. Mit 7 bis 12°C, am Oberrhein sowie im Alpenvorland stellenweise noch
darüber, wird es alles andere als kalt.

Die Nacht zum Montag bleibt sehr windig bis stürmisch mit Schauern oder kurzen
Gewittern, in den höchsten Lagen der Mittelgebirge teils als Schnee.

Modellvergleich und -einschätzung

Im Grunde sind sich die Modelle einig. Kleine Unsicherheiten ergeben sich u.a.
noch beim Wind was Timing und Intensität angeht. Problematisch bleibt auch noch
das Thema „Glatteis“, vor allem in der kommenden Nacht im Südosten. Was können
auflebender Wind und Gegenstrahlung gegen die Frostluftseen ausrichten, und
wenn, wie lange dauert es. Auf eine Vorabinformation Unwetter wurde wegen der
voraussichtlich eingeschränkten räumlichen Ausdehnung des gefrierenden Regens
verzichtet, Unwetterwarnungen als solche hält der Verfasser aber für
wahrscheinlich.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann