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S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Mittwoch, den 05.06.2019 um 08 UTC

GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: TrW (Trog Westeuropa) mit Sz (Süd zyklonal)

Heute einzelne, teils kräftige Gewitter, ab dem Abend im Westen organisiert mit erhöhter Unwettergefahr (Vorabinfo).
Morgen Kaltfrontpassage mit Luftmassenwechsel und kräftigen Gewittern vor allem im Osten. Danach Zwischenhocheinfluss.
Synoptische Entwicklung bis Freitag 24 UTC

Mittwoch… liegt Deutschland weiterhin auf der Vorderseite eines mittlerweile satt amplifizierten LW-Troges über Westeuropa respektive dem nahen Ostatlantik. Er wird auf seiner Rückseite permament von kurzwelligen Trögen gespeist, was aber auch bitter nötig ist, schließlich soll der Trog ja noch bis Pfingsten und evtl. sogar darüber hinaus durchhalten. Nun aber nicht in die Mittelfrist abschweifen, haben wir doch auch kurzfristig einmal mehr hochinteressante Entwicklungen vor der Brust, die es zu erörtern gilt.
Dabei geht der geschulte Blick zunächst mal zur Iberischen Halbinsel, wo der Südteil des o.e. LW-Troges dabei ist, über die Pyrenäen hinweg gen France zu schwenken und dabei – ganz nebenbei – von einer meridionalen zu einer eher zonalen Exposition zu wechseln. Zwar verliert die Trogspitze allmählich was von ihrer „scharfen“ Kontur, es reicht aber allemal, um vorderseitigen Druckfall auszulösen. Dabei bildet sich über Frankreich ein flaches Tief (es müsste HEIKO sein), das im Laufe der ersten Nachthälfte via Benelux zur Nordsee zieht. Und da
das Ganze entlang einer schleifenden Luftmassengrenze passiert, die von Haus aus
schon thermisch überaus passabel aufgestellt ist, verschärft sich die Baroklinität knapp westlich des Vorhersageraums noch. So wird von Osten her die heiße (okay, am Abend nicht mehr ganz so heiße, aber immer noch warme) und labil
geschichtete Subtropikluft angesaugt (die auch nach Sonnenuntergang noch über ausreichend MU-CAPE verfügt, während rückseitig stabilere und kühlere Meeresluft
angezapft wird. Zu der (Hyper)Baroklinität (man beachte den wirklich scharfen Gradienten in 850 hPa) kommt ab den Abendstunden noch ein „günstiges“ Strömungssetup mit einem moderaten Höhenjet, unter dessen rechten Eingang zumindest zeitweise das Bodentief liegt und – ganz wichtig – einem besonders in 700 hPa sehr gut ausgeprägten Mid-Level-Jet (bis zu 60 Kt; in 850 hPa etwas unaufgeräumter, aber auch bis zu 45 Kt). Dazu gesellt sich ein hohes Maß an Scherung (LLS bis 15 m/s, DLS bis rund 20 m/s) mit fast lehrbuchmäßigen, langgezogenen Hodographen, die eine klassische Rechtdrehung mit Geschwindigkeitszunahme zeigen. Stellt sich die Frage (oer auch nicht), warum erzählt uns der Hoffmann das alles so ausführlich. Nun, mit den genannten Features sind excellente Voraussetzungen für organisierte Konvektion gegeben, was die Modelle offensichtlich auch so sehen. Bis es soweit ist – keine Angst, wir kommen drauf zurück – dauert es aber
noch ein paar Stunden, die es zunächst mal abzuarbeiten gilt. Machen wir es kurz, bei geringen Luftdruckgegensätzen ist mit Ausnahme des äußersten Westens und Nordwestens ist weiterhin die sich bei uns offensichtlich wohlfühlende, potenziell instabil geschichtete und heiße Subtropikluft (T850 15 bis 20°C) das Maß der Dinge. Die anfängliche Restbewölkung aus der Nacht wird sich in den nächsten Stunden vielfach verdünnisieren bzw. aufgebrochen, einzig nach Nordwesten hin bleibt es für längere Zeit zumindest gebietsweise stark bewölkt. Subtropikluft und gnadenlose Einstrahlung, eine Paarung, die nicht jedermann gefällt. Will heißen, bis auf einen etwa von der Eifel bis hoch zur Nordsee bzw. SH reichendem Streifen steigt die Temperatur auf 29 bis 34°C, im Osten vielerorts sogar um 35°C – na schönen Dank, aber wer´s braucht. Zwar ist die Luft wie gesagt potenziell instabil und es wird z.T. auch ordentlich ML-CAPE simuliert (im NW und im S punktuell über 2000 J/kg), trotzdem hält sich die Gewitterei tagsüber in Grenzen. Teilweise ist es doch etwas zu trocken, teilweise ist das CAPE gedeckelt und die zunächst noch indifferente bis leicht antizyklonal geprägte Höhenströmung sind auch nicht gerade Gewitters Freund. Trotzdem, insbesondere in der Westhälfte darf – vor allem, aber nicht ausschließlich aus dem Bergland heraus – mit einzelnen Überentwicklungen gerechnet werden, die bei relativ trockener Grundschicht trotz schwacher Höhenströmung mit Sturmböen einhergehen können (Downbursts). Zudem können die Zellen, müssen aber nicht unwetterartig ausfallen (Hagel, Starkregen), der Handwerkskoffer des Nowcastings sollte auf alle Fälle bereitstehen. Nach Osten hin ist die Gewitterwahrscheinlichkeit noch geringer als im Westen, wenn, dann geht nur vereinzelt was aus den Bergen heraus.

Kommen wir also zum Abend und zur Nacht auf Donnerstag, wenn sich ausgehend von Ostfrankreich und der Westschweiz (evtl. ist auch noch der Schwarzwald beteiligt) vermehrt konvektive Umlagerungen bilden, die sich zu einem größeren Cluster organisieren (MCS), der dann via RP und das Saarland in Richtung NRW und
von dort in der zweiten Nachthälfte weiter gen westliches Niedersachsen und Nordsee zieht. Wie schon eingangs erwähnt sind die Rahmenbedingungen für schwere
Gewitter formidabel und im Gegensatz zur Lage der vergangenen Nacht, wo die Modelle zerstritten waren wie das Britische Parlament zur Brexitfrage, spricht die Numerik heute weitgehend mit einer Zunge. Dass trotzdem noch einige Fragen offen sind, liegt es doch in der Natur von Gewitterlagen selbst, die in hohem Maße von der Interaktion und Wechselwirkung vieler mesoskaliger Prozesse leben, welche nicht immer – verständlicherweise – befriedigend von deterministischen und probabilistischen Vorhersagetools aufgelöst werden können.
Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage der günstigen Überlappung – nach Osten zu sind die thermodynamischen, nach Westen hin die strömungsmechanischen Voraussetzungen am besten. Hinzu kommt mit fortschreitender Nacht eine zunehmende Entkopplung von der Grundschicht (=> weniger Wind/Sturm?), und auch die Frage, wie weit die Gewitter nach Osten ausgreifen, kann noch nicht abschließend beantwortet werden. Nevertheless, es muss in den genannten Gebieten mit ordentlichen Krachern gerechnet werden, die von Starkregen (über 25 mm/h), größerem Hagel (dieser vor allem in der Anfangsphase) und (schweren) Sturmböen oder orkanartigen Böen begleitet werden. Und selbst das T-Wort kann, man hat es gestern bzw. vergangenen Nacht bei ähnlichem Setup gesehen, nicht ausgeschlossen werden.
Ansonsten bliebe nur noch zu sagen, dass man im Osten das Geschehen im Westen mit gediegenem Interesse verfolgen kann – Schlafen kann man bei Tmin um 20°C ohnehin nicht richtig. Ach ja, nicht zu vergessen der auf westliche Richtungen drehende Wind, der nach Abzug des Gewitterclusters respektive des Bodentiefs und
dem daraus folgenden Druckanstieg erst im Südwesten, dann auch im Westen böig auffrischt mit ein paar steifen Spitzen 7 Bft.
Donnerstag… weitet sich der Aktionsradius des Höhentroges geringfügig nach Osten aus, was aber ausreicht, bei uns einen veritablen Luftmassenwechsel herbeizuführen. Das Bodentief verabschiedet sich endgültig über die Nordsee hinweg nach Norden, was der zugehörigen Kaltfront mit vorlaufender Rinne und möglicher Konvergenz (noch nicht sicher) die einmalige Chance gibt, nach nordostwärts vorzustoßen und damit einen substanziellen Luftmassenwechsel einzuleiten. Die heiße Subtropikluft wird – endlich! – nach Osten abgedrängt und
durch stabilere und vor allem kühlere Atlantikluft ersetzt (Rückgang T850 auf Werte um 5°C). Nach einem morgendlichen Minimum setzt noch im Laufe des Vormittags präfrontal in der Mitte und im Norden, aber auch in Bayern stärkere Konvektion ein, die sich im weiteren Verlauf ost-nordostwärts verlagert und dabei tagesgangbedingt verstärkt. Was mit ein paar Einzelzellen startet, endet später mit verclusterten Multizellen (mittlerer Schervektor nahezu parallel zur
Rinne/Konvergenz), die sich fast linienartig anordnen, obwohl die Scherung und somit der Organisationsgrad gering sind. Die Winddrehung auf West sowie die Bildung des rückseitigen Cold-Pools drücken dieses Linie aber relativ flott weiter nach Nordosten. Fakt ist, dass bei PPWs bis 35 mm, ML-CAPE um oder etwas über 1000 J/kg und abnehmenden Lapse-Rates die ganz große Energie/Labilität zwar nicht mehr gegeben ist, die Ingredienzien aber hinreichend für starke Gewitter bis in den Unwetterbereich sind (Hagel/Starkregen). Aufgrund der immer noch relativ trockenen Grundschicht (inverses V) sind auch (schwere) Sturmböen in Kalkül zu ziehen. Ob für den Osten auch eine Vorabinfo vor schweren Gewittern herausgegeben wird, wird im Rahmen der heutigen Abendkonferenz besprochen.
Rückseitig kommt es wie bereits angedeutet zu einer raschen
Stabilisierung, von Frankreich her gibt sich ein namenloses Zwischenhoch die Ehre. Bei unterschiedlicher Bewölkung bleibt es im Großen und Ganzen trocken. Nur im Süden
und Südwesten, wo die Front zurückhängt, fällt hier und da etwas schauerartiger Regen. Zu erwähnen wäre abschließend noch der Wind, der zwischen der Rinne und dem Zwischenhoch vorübergehend auffrischt mit Böen 7 Bft, die wohl aber nicht so flächendeckend auftreten, dass gleich mit Kanonen auf Spatzen geschossen werden muss (meint keine
großflächigen Warnungen). An der Nordsee allerdings sollte die Farbe Gelb schon auf der Warnkarte aufleuchten. Ach ja, nicht zu vergessen die Temperatur, die postfrontal in der Südwesthälfte nur noch Höchstwerte von 16 bis
22°C (höheres Bergland darunter) erreicht, während im Osten gebietsweise noch mal rund 30°C auf dem Thermometer erscheinen.

In der Nacht zum Samstag weitet sich der Zwischenhocheinfluss nach Osten aus, so
dass die letzten Gewitter bzw. schauerartigen Regenfälle, wenn auch mit angezogener Handbremse, Richtung Österreich, Tschechien, Polen und Ostsee herausgedrückt werden. Dahinter klart es vielfach auf, wobei sich ein paar Nebelfelder bilden können. Im Osten liegen die Tiefstwerte mit 15 bis 10°C noch vergleichsweise hoch, sonst stehen lüftungsfreundliche 11 bis 6°C, in den westlichen Mittelgebirgen lokal sogar noch weniger, auf der Karte.
Freitag… steht zunächst im Zeichen des Zwischenhochs (von daher hätte es eigentlich einen Namen verdient), das sich langsam nach Nordosten in Richtung Ostsee verlagert. Während dessen macht sich von der Biscaya ein für sommerliche Verhältnisse gut im Futter stehendes Tief (IVAN, Kerndruck zwischen 995 und 990 hPa) auf, um via Bretagne und Ärmelkanal das Vereinigte Königreich zu erobern. Es korrespondiert mit einem Randtrog, der ausgehend von unserem wohlbekannten LW-Trog über Westeuropa nordwärts schwenkt. Und was hat das mit uns zu tun? – Nun, zum einen bildet sich zwischen dem scheidenden Hoch und dem IVAN eine Rinne aus, die sich im Tagesverlauf bis in den Westen und Süden des Vorhersageraums vorarbeitet. Zuvor wird von Südosten her wieder niedertroposphärisch wärmere Luft herangeführt, in der die Temperatur im Süden auf 15 bis 18°C steigt (in 850
hPa wohlbemerkt). Zudem nehmen Labilität und Feuchte im Süden und Westen sukzessive zu, was vor allem zwischen BW und NRW am Nachmittag, spätestens am Abend Gewitter und schauerartige Regenfälle zur Folge hat. Mehr zur Qualität der
Gewitter in den folgenden Übersichten. Darüber hinaus frischt der Wind im Westen
und Südwesten auf, wobei er zunächst aus Südosten weht, mit Übergreifen der Rinne aber zumindest vorübergehend auf westliche Richtungen springt. Um keine Missverständnissen vorzubeugen, zuvor scheint erst noch mal landesweit die Sonne und die Temperatur steigt auf 23 bis 28°C. Modellvergleich und -einschätzung

Im Großen und Ganzen herrscht Einigkeit im Modellpool. Ansonsten ist alles gesagt.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann